Streit im Unternehmen

Manchmal kann Streit in einem Betrieb schlimmer sein als in einer Ehe. Tipps vom Mediator, was in gängigen Konfliktsituationen am Arbeitsplatz zu tun ist.


20.06.2017 - Esther Werderinghaus -9 MinutenRichtig führen

Manchmal kann Streit in einem Betrieb schlimmer sein als in einer Ehe. Dann hilft ein Mediator. Er ist ein neutraler Vermittler zwischen den Parteien und arbeitet sich vor bis an den Konfliktherd.

Es herrscht dicke Luft: Der Betriebsrat ärgert sich über die Geschäftsführung, der Abteilungsleiter über seine neue Vorgesetzte, ein Mitarbeiter über das Ausbleiben seiner Gehaltserhöhung. Türen knallen, Kollegen melden sich krank, Konferenzen werden zu Tribunalen. Solche Konflikte, ob nun kalt schwelend oder laut ausgetragen, kosten Unternehmen in Deutschland Unmengen an Zeit, Nerven und Geld.

Vor ein paar Jahren errechnete die Wirtschaftsprüfungsagentur KPMG einer vierköpfigen Agentur einen jährlichen Verlust von 72.000 Euro, weil sich regelmäßig Informationen beim Chef sammelten, der diese nicht weiterkommunizierte. Die Kollegen mussten regelrecht nach den Aufträgen suchen. Solche Konflikte lassen sich vermeiden.

Sascha Weigel spricht
© Inkovema - Sascha Weigel betreut als Mediator kleine und mittelständische Unternehmen.

Immer dann kann ein Mediator hilfreich sein. Ein neutraler Vermittler, der zwischen den Fronten moderiert. Er kennt die Unternehmensstrukturen und stellt gezielt Fragen. Oftmals kommen Kränkungen zum Vorschein, die die andere Seite gar nicht beabsichtigt hatte. Ziel ist es, Verständnis für die jeweils andere Perspektive zu entwickeln. Nur auf dieser Basis können beide Parteien Strategien entwickeln, wie man in Zukunft besser zusammenarbeiten kann.

Rechtsanwalt und Mediator Dr. Sascha Weigel vom Inkovema-Institut für Konflikt- und Verhandlungsmanagement in Leipzig hilft kleinen und mittelständischen Unternehmen seit acht Jahren bei der Lösung interner und externer Differenzen. Er kommentiert fünf Szenarien. 

Fall 1: Steile Hierarchien

Ein Vorgesetzter fühlt sich von seinen Mitarbeitern nicht respektiert, weil sie seine Ideen nicht umsetzen. Die Mitarbeiterbefragung ergibt, dass der Chef sie ständig mit Aufgaben konfrontiert, die nicht im Team entwickelt wurden. In der Mannschaft herrscht Frust.

Das sagt der Mediator: Hier geht es darum, sich als Vorgesetzter und als Mitarbeiter in die Position der Gegenpartei hineinzuversetzen. Als Mediator rege ich dazu mit zirkulären Fragen an. Die klingen etwas ungewöhnlich, können aber zum Aha-Effekt führen: Was nimmt euer Chef an, wie ihr eure Aufgaben angeht? Nicht selten kommen dann Sätze wie: „Wir sind dem egal“ oder: „Wenn er uns viele Aufgaben gibt, denkt er, wir schaffen dann auch mehr.“

Vorgesetzte sind darüber oft überrascht, denn sie haben etwas ganz anderes beabsichtigt. Ich frage den Chef in Gegenwart der Mitarbeiter: Was glauben Sie, wie die Mitarbeiter Aufgaben kommuniziert haben wollen? Für Führungskräfte ist es wichtig zu wissen, was sie bewirken. Sie müssen sich unbedingt Feedback organisieren. Früher dachte man, mit genug Fachkompetenz ein Team leiten zu können. Das stammt noch aus der alten Tradition des Handwerks, der Zünfte und Kammern, als nur Meister Gesellen ausbilden durften. Bis heute befördern wir leider nur diejenigen, die ihre Sache – etwa die Herstellung eines Produkts – am besten machen. Früher funktionierte das auch, weil unter anderem der Glaube an Hierarchien und Autorität stärker war. Heute muss man Führungspersonal anders heranziehen. Wer sich auf reine Autorität beruft, hat sie meist schon nicht mehr. In den komplexer werdenden Firmenstrukturen braucht ein Vorgesetzter neben Fachkompetenz aber vor allem Führungskompetenz. Er schafft die Rahmenbedingungen, damit ein Team gut arbeiten kann, kümmert sich um Räumlichkeiten, Geld, Aufträge und Auftragsverteilung, Fortbildung und Anbindung an die Organisation, gute Kommunikation untereinander. Er fördert Teamleistung – und muss nicht unbedingt wissen, wie man eine Fräsmaschine bedient.

Bei dem Perspektivwechsel, den ich anrege, sieht der Chef möglicherweise, warum die Art, wie er Aufgaben verteilt, nicht gut ankommt. Er erkennt, dass er unterschätzt hat, wie sehr die Mitarbeiter sich einbringen wollen. Das ist ja durchaus positiv! Die Mitarbeiter hingegen stellen fest, dass ihr Chef die Absicht hatte, die Arbeitsabläufe zu verkürzen, und deshalb viele eigene Ideen und Aufgaben verteilt hat, damit es zum schnelleren Workflow kommt.

Auf der Grundlage kann man bestens darüber reden, wie in Zukunft Aufgaben verteilt werden sollen – und mehr noch: wie Ideen schon im Vorfeld im Dialog mit den Mitarbeitern erarbeitet werden können.

Fall 2: Generalverdacht Faulheit

Beim Brainstormen und Ausarbeiten von Projekten beteiligen sich immer nur die gleichen wenigen Mitarbeiter. Das liefert kaum neue Impulse. Der Teamleiter verzweifelt und denkt, dass einige Kollegen systematisch die Arbeit verweigern. Am liebsten würde er Kündigungen aussprechen.

Das sagt der Mediator: Einige Mitarbeiter fühlen sich in Projektmeetings wie in Prüfungen. Bei ihnen kommt an: Ihre Ideen sind entweder nicht gut oder absolute Spitzenklasse. Zwischentöne existieren kaum. Aus Angst, vor den anderen kritisiert zu werden, trauen sie sich nicht, sich an Diskussionen zu beteiligen. „Unsere Ideen werden ja ohnehin abgewunken“, sagen sie, wenn man sie separat befragt. Klar ist: Die Führungskraft kann zu einer Gruppe nicht wie zu einer einzelnen Person sprechen. Diese Problematik hat die Führungskraft oft nicht im Blick. Jeder in der Gruppe hat seinen eigenen Charakter, wurde im Laufe seines Lebens schon mal verletzt, gedemütigt, abgelehnt oder bloßgestellt. All diese Erfahrungen nehmen teil an einem Meeting.

Kränken wollen die wenigsten Chefs. Die meisten wollen die Leistung ihres Teams erhalten. Doch Zeitdruck führt dazu, dass sie schnell urteilen, in gut oder schlecht einteilen und dabei Kollateralschäden verursachen. Sie denken pragmatisch, dabei wird es aber immer wichtiger, andere in ihrer Individualität zu verstehen. Meine Empfehlung: persönlich mit dem einzelnen Mitarbeiter sprechen und seine Wertschätzung aussprechen. Das motiviert auch die stillen und frustrierten – und so wird auch die Perspektive des Chefs klarer. Das wiederum schafft bei der Belegschaft Verständnis für seine Haltung.

In einer Mediation würde ich dem Chef empfehlen, seine Meetingkultur grundlegend zu überprüfen. Brainstorming in Meetings ist gruppendynamisch riskant und meist schlecht durchgeführt: Alle stürzen sich auf die erstbeste Idee und zerpflücken sie. Für weitere fehlt einigen Teilnehmern verständlicherweise der Mut. Besser ist, dass jeder seine Ideen zunächst auf einen Zettel schreibt. Diese werden vorgestellt und weiter genutzt. Man nennt das Brainwriting. So wird Konkurrenzdruck umgangen, und das ermutigt auch die Introvertierten, die häufig die besten Ideen haben, aber keine laute Stimme im Team.

Fall 3: Pulverfass Vielfalt

Eine Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund beschwert sich beim Betriebsrat, dass sie von einem Kollegen diskriminiert wird. Unter dieser problematischen Atmosphäre leide ihre Arbeitsperformance.

Das sagt der Mediator: Diversity ist in modernen Unternehmen wichtig, gehört aber zu einem der spannungsgeladensten Bereiche. In diesem Fall konzentrierte sich die Mediation auf zwei Personen, die am Streit beteiligt waren. Der Teamassistent und die Mitarbeiterin gelten in ihrem Fachbereich als konfliktträchtig. In die Mediation will die Frau eine persönliche Unterstützerin mitbringen, doch ihr Kollege lehnt das ab. Er fordert eine direkte Kommunikation, andernfalls sei er nicht bereit, mit ihr zu reden. Das Ergebnis: Das Gespräch kommt nicht zustande. Wir als Mediatoren können die beiden nicht an einen Tisch zwingen. Wir sind nicht die Anwälte einzelner Anliegen, sondern des gesamten Konfliktsystems. Zunächst sieht es also so aus, als wäre nichts gewonnen. Das stimmt aber nicht. Eine Mediation erfüllt auch hier eine wichtige Funktion. Das Unternehmen verdeutlicht: Wir wollen die konstruktive Auseinandersetzung über heikle Themen. Gerade weil wir wissen, dass es zu Spannungen kommt, wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenarbeiten. Das ist eine Haltung und eine Ansage der Organisation an alle.

Für den Konfliktfall konkret heißt das:

  • positiv:Die Organisation ist sich zunächst nicht im Klaren darüber, dass es den Konflikt zwischen den Mitarbeitern gibt. Nun hat sie das Problem erkannt und versetzt beide in andere Abteilungen. Sie führt anschließend Diversity-Workshops ein, in denen die Belegschaft für die kulturellen Unterschiede anderer Mitarbeiter sensibilisiert werden soll. So ermöglicht sie allen den Blick über den Tellerrand hinaus.
  • positiv:Die beiden Streitparteien haben in ihren neuen Abteilungen nun andere Entwicklungschancen und müssen sich nicht ständig dem alten Konflikt aussetzen. Beide können zufrieden sein, denn die Organisation bot ihnen einen Rahmen, um aus dem Konflikt zu lernen. Wozu sie ihn nutzen, liegt bei ihnen.

 

Fall 4: Falscher Beschützerinstinkt

Eine Mitarbeiterin ist frustriert. Sie bekommt auch im dritten Anlauf nicht die gewünschte Führungsposition. Jetzt denkt sie über eine Kündigung nach. Ihr Chef glaubt, dass sie in der überwiegend männlichen Belegschaft kein Gehör findet, verschweigt ihr den Grund aber. Dennoch ist sie eine wertvolle Arbeitskraft, die er nicht verlieren will.

Das sagt der Mediator: Ich frage den Chef im Beisein der Kollegin, ob er sie halten will und – ganz wichtig – ob er wissen will, weshalb sie das Unternehmen verlassen möchte. Sofern der Chef seine Sorge äußert, dass die Kollegin in der „Männerwelt“ unterzugehen droht, lohnt sich für ihn ein Blick in andere Unternehmen: Wie ist es woanders gelaufen, hatten andere Vorgesetzte ähnliche Bedenken? Das könnte ein erster Schritt sein, um Hemmschwellen und Sorgen zu überwinden. Wichtig ist aber vor allem, dass er ihr das offen sagt.

Die Vorbehalte ihres Chefs – das wird jetzt deutlich – haben einen Grund: Für die Angestellten, aber auch was die „Arbeitsabläufe“ in dem recht kleinen Traditionsbetrieb betrifft, ist es eine große Herausforderung, die männlich geprägten Strukturen und Prozesse zu verändern. Denn leicht ist es für niemanden, Führungsaufgaben erstmals wahrzunehmen. Das braucht Entschlossenheit.

Die Mitarbeiterin sieht durch die Mediation, dass ihre Arbeitskraft geschätzt und gewürdigt wird. Sie kann nochmals verdeutlichen, dass sie vor der Aufgabe keine Scheu hat und mit eigenen Bedenken konstruktiv umgeht.

In männlichen oder erfahrungsgeprägten Organisationen müssen weibliche und junge Führungskräfte gut eingepasst werden. Im Dialog können dem Chef dabei die gröbsten Ängste genommen werden. Er entschließt sich, die Frau zu befördern – und schafft passende Rahmenbedingungen. Jetzt unterhalten sich die beiden konkret übers Führen und Geführtwerden. Beiden ist bewusst: Sie können auch scheitern. Aber sie sind sich über die Kernpunkte der Herausforderung im Klaren und fühlen sich sicherer. Dann folgt eine Besprechung über Strategien und Vorgehen. Danach werden die anderen Mitarbeiter in die Entscheidung miteinbezogen und können ebenfalls Wünsche und Vorbehalte äußern. Klar ist: Ihr Vorgesetzter steht jetzt hinter ihr und fordert von allen die Bereitschaft zur Kooperation.

Fall 5: Stressfalle Umstrukturierung

Ein Unternehmen soll von Grund auf umstrukturiert werden, Arbeitsabläufe sollen besser an den heutigen Markt angepasst werden. Das verändert alte Hierarchien und Zuständigkeiten. Ärger und Eitelkeiten sind vorprogrammiert. Der Unternehmer will schon präventiv etwas dagegen unternehmen.

Das sagt der Mediator: Ich lege der Führung nahe, die Belegschaft auf eine Reise vorzubereiten. Ich empfehle, die Mitarbeiter einzuladen, gemeinsam über die Art und Weise der Umsetzung der Umstrukturierungsmaßnahmen zu beraten. Die Botschaft muss lauten: Keiner wird zurückgelassen. Wir müssen uns alle bewegen. Dieser Prozess ist verbunden mit vielen Gesprächen, Treffen, kleinen und großen Meetings. Das kostet Zeit, aber der Aufwand lohnt sich. Durststrecken werden besser überstanden, Rückschläge gemeinsam verkraftet, wenn jeder weiß, wo das Unternehmen hinsteuert. Führungskräfte können die Mitarbeiter zum Beispiel fragen: Wo seht ihr euch auf unserem Weg? Wie denkt ihr kann die neue Produktion umgesetzt werden? Oder persönlich: Wo sehen Sie sich mit Ihren Kompetenzen? Die Führungskraft selbst kann wiederum mitteilen, wo er den Mitarbeiter sieht und was er sich vorstellt.

Sollte absehbar sein, dass bestimmte Aufgaben durch die Veränderung nicht mehr zu leisten sind – zum Beispiel automatisiert oder wegrationalisiert werden –, muss die Führung das klar sagen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist jede Arbeitskraft kostbar und jeder Versuch, sie zu halten, das richtige Signal. Auch wenn es für einige nicht mehr weitergeht, sollte für jede Arbeitskraft, die nicht mehr ins Unternehmen passt, etwas unternommen werden. Dabei kann das firmeninterne Netzwerk helfen, Coachings, Fortbildungen oder Ähnliches, um weiterhin attraktiv und vermittelbar zu bleiben.

Es wirft ein sehr gutes Bild auf einen Betrieb, wenn mit den Älteren gut umgegangen wird. Junge Nachwuchskräfte beobachten Unternehmen viel genauer, als Entscheider heute denken. Heikle Themen wie Kündigung oder Arbeitsplatzveränderung müssen auch deshalb offener denn je angesprochen werden.


Titelfoto: © Stocksy/Ruslan & Alina Bosch