Der Mensch im Mittelpunkt

Engagierte und kreative Mitarbeiter sind gefragt, aber schwer zu finden. Warum Unternehmer wie Hartwig Marx sie trotzdem bekommen


14.06.2016 - Michael Prellberg -7 MinutenRichtig führen

Engagierte und kreative Mitarbeiter sind überall gefragt – aber nicht leicht zu finden. Unternehmer wie Hartwig Marx bekommen sie – weil sie ihnen mit Wertschätzung begegnen und Entscheidungsspielraum lassen.

Raus mit allen, die fachlich, nicht aber menschlich überzeugen: Hartwig Marx hat seine Leitungsriege konsequent ausgetauscht. Heute arbeiten für ihn Führungskräfte mit Kraft zum Führen. Die unterstützen die Mitarbeiter darin, ihre Stärken einzubringen. Das ist ihre Aufgabe, für den Unternehmenschef die schönste überhaupt: Führen. „Ein erfolgreicher Mitarbeiter ist nicht ­immer glücklich“, sagt Marx, „aber ­ein glücklicher Mitarbeiter ist immer erfolgreich.“

266 Mitarbeiter beschäftigt die Marx Gruppe in Düren am Nordrand der Eifel. Ihr Kerngeschäft ist die Automation, doch längst sind neue Sparten dazugekommen, von der Industriemontage bis zur Wassertechnik. Das Unternehmen expandiert, auf 400 Mitarbeiter soll es in den nächsten beiden Jahren anwachsen. Bewerber gebe es genug, sagt Marx, „es hat sich herumgesprochen, dass wir Menschen gut bezahlen – und behandeln.“ Mit Anstand nämlich und mit Respekt. „Über diese Werte ­lasse ich nicht mit mir diskutieren“, sagt der 53-Jährige. Höchstens darüber, wie man optimal danach handelt.

Schon als der Elektroingenieur vor zwei Jahrzehnten die ersten Mitarbeiter einstellte, hatte er eine Richtschnur: fair mit Menschen umgehen, auch mal loben und oft Danke sagen. „Das hat mir meine Mutter mitgegeben.“ Um zu führen, ist jedoch mehr gefordert, erkannte Marx bald: Führen heißt, diese Werte im ganzen Unternehmen zu verankern. Jene zu fördern, die diese Werte leben. Und sich von allen zu trennen, die sie ignorieren. Also tauschte Marx seine Führungsetage aus. Und schwört seitdem die Neuen auf seine Werte ein.

Führen heißt dienen

Was kein Selbstläufer ist, denn Druck von oben erreicht wenig. „Wenn Führungskräfte den erhobenen Zeigefinger spüren, machen sie dicht“, sagt Anne Katrin Matyssek, selbstständige Beraterin für betriebliches Gesundheitsmanagement. Erst sobald sie merken, wie sehr sie selbst von einem respektvollen Umgang miteinander profitieren, lassen sie sich darauf ein. Bei der Marx Gruppe hat sich dieser Prozess gut fünf Jahre hingezogen. „Heute“, sagt der Unternehmenschef, „würde ich unter jeder meiner Führungskräfte selbst gern arbeiten.“

Zitat:

„Eine fachliche Spitzenkraft kann der schlechteste Chef sein.“
Dieter Frey, Sozialpsychologe

Weil seine Leute verstanden haben, dass Führen auch dienen heißt. Anderswo wird oft genug anders übersetzt: Führen heißt befehlen. Doch das geht immer häufiger schief. Die Herausforderungen der Zukunft lassen sich nicht mit Befehlsempfängern anpacken. Gebraucht werden engagierte Mitarbeiter, die den Mund aufmachen und Ideen einbringen. Doch genau jene schauen bei der Wahl des Arbeitgebers genau hin, ob im Betrieb Wertschätzung auch glaubwürdig gelebt wird – erst recht, seit der Arbeitsmarkt für gut Qualifizierte oft Alternativen bereithält.

 Wertvolle Ideen hat die Sekretärin ebenso wie der Vertriebler – sie müssen allerdings ernst genommen werden. Daran hapere es in Deutschland, sagt Sibylle Hermann vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Die Psychologin traf in vielen Unternehmen auf dasselbe Vorurteil: „Bei Kreativität denken viele an einsame Tüftler, die eher stören.“ Allmählich bessere es sich, aber vielerorts fehle es an einem Betriebsklima, das die Mitarbeiter spüren lässt: Traut euch, jede Idee ist willkommen!

Wer lacht hat noch Reserven
© Benne Ochs - Die schlimmsten Bürosprüche hat Fotograf Benne Ochs für Faktor A in Szene gesetzt.

Neues Rollenverständnis von Vorgesetzten

Früher durften Chefs erwarten, dass ihre Untergebenen zuverlässig Aufgaben erledigten und ansonsten ihren Mund hielten. Heute werden Mitarbeiter gesucht, die „kommunikativ“ und „konfliktfähig“ sind – das fordert den Vorgesetzten einen anderen Umgang ab. Sie brauchen ein neues Rollenverständnis, eher als unterstützenden Koordinator denn als Alles-noch-besser-Wisser. Hapert es an der Offenheit für diesen Rollenwandel, „kann eine fachliche Spitzenkraft zugleich der schlechteste Chef sein“, warnt Sozialpsychologe Dieter Frey von der Ludwig-Maximilians-­Universität München. Weil sie nicht auf die Menschen und ihre Bedürfnisse eingeht. „Die Kunst besteht darin“, sagt Frey, „Bedingungen zu schaffen, unter denen sich intrinsische Motivation entwickeln kann.“

Motivation von innen

Gemeint ist Motivation, die von innen kommt, die keine Belohnungen braucht. Der Weg dorthin? Der Sinn der Arbeit müsse vermittelt werden. „Warum und wozu wird was gemacht?“ Tätigkeiten müssen als sinnvoll wahrgenommen oder als interessante Herausforderung angenommen werden, zudem bräuchten Menschen Handlungsspielräume, die sie mitgestalten.

Wertschöpfung durch Wertschätzung“, nennt Frey diesen Ansatz, der beim Outdoor-Anbieter Vaude im oberschwäbischen Tettnang zielstrebig umgesetzt wird. „Die Energie, die frei­gesetzt wird, wenn Menschen sich für etwas Sinnvolles engagieren können, ist riesig“, sagt Unternehmenschefin Antje von Dewitz. „Es macht mir Spaß, dabei zuzusehen, wie Leute dabei aufblühen.“

Für Dewitz ist Vertrauen die entscheidende Währung. „Wir gehen davon aus, dass alle von sich aus bestrebt sind, die beste Leistung zu bringen.“ Und wenn doch mal etwas schiefgeht? „Fragen wir erst einmal nicht nach persön­lichem Versagen, sondern danach, was vielleicht an den Rahmenbedingungen nicht stimmt.“

Wo statt auf Verständnis auf Strafe gesetzt wird, zeigen sich schnell die Konsequenzen: Es wird unmotiviert ­gearbeitet, und jeder denkt nur an sein persönliches Wohlergehen. Denn Erfahrungen am Arbeitsplatz werden im Frontalhirn als innere Einstellungen und Haltung verankert, sagt Gerald Hüther, Neurobiologe an der Universität Göttingen. „Machen Mitarbeiter die Erfahrung, dass ihnen kaum Verantwortung übertragen wird, dass sie unzureichend wertgeschätzt, womöglich gar verängstigt und unter Druck gesetzt werden, dann hinterlässt das Spuren in ihrem Gehirn“, sagt Hüther. „Ist solch eine Haltung erst einmal entstanden, lässt sie sich nicht durch Argumente, Belehrungen, Bestrafungen und Weiterbildungen ver­ändern.“ Übrigens auch nicht durch ­Belohnungen.

Ins Gespräch kommen

An Belohnung durch Wertschätzung fehlt es erkennbar in deutschen Betrieben. Nur jeder zweite Arbeitnehmer ­bescheinigt seinen Chefs einen wertschätzenden Führungsstil, „mangelnde Anerkennung“ monieren 56,4 Prozent der Befragten in einer INQA-Studie.


Da ist noch Luft nach oben. Wie also zeige ich Wertschätzung? Indem ich ­alles dafür tue, damit Mitarbeiter ihre Potenziale entfalten können, sagt Neurobiologe Hüther. Und das gehe nur über Kommunikation: ins Gespräch kommen und bleiben.

„Führen bedeutet überwiegend kommunizieren“, sagt auch Sozialpsychologe Frey. Die Ziele müssen vermittelt werden – der Weg dorthin ebenfalls. „Wer nicht kommunizieren kann, sollte keine Führungskraft werden“, sagt Frey und kritisiert, dass sich Manager zu gern an Zahlen, Daten und Fakten orien­tieren „und zu wenig reflektieren, dass sie von Menschen gemacht werden“.

Hartwig Marx in Düren beschäftigt sich mit seinen Leuten. „Mir ist es wichtig, mich nicht als jemand Besseren zu sehen und jedem von ihnen aufrichtiges Interesse entgegenzubringen.“ Der Dank dafür besteht nicht nur in Loyalität, sondern vor allem in Ideen- und Arbeitsfreude – und damit Produktivität. „Früher haben mir die Menschen gesagt: ‚Klar kannst du Gutes tun, aber damit verdienst du kein Geld‘“, erzählt Marx. „All denen beweise ich Jahr für Jahr das Gegenteil.“

Marx steht nun vor der Frage, ob die Wertschöpfung durch Wertschätzung auch ohne ihn läuft. Er will sich rausziehen aus dem Tagesgeschäft. „Der Laden muss auch ohne mich laufen.“ Mit Mitarbeitern, die in seinem Sinne agieren – aber eigenständig. Aber sind die schon so weit?

Einfach ausprobieren, rät Michael Gammel. So hält er es bei Gammel Engineering schon seit zwei Jahrzehnten. Feste Teams von drei bis fünf Mitarbeitern arbeiten als eigene Profitcenter, wobei die Zahlen natürlich stimmen müssen – und öffentlich sind. „Das ist die Basis, um Vertrauen aufzubauen“, sagt Michael Gammel. Er hat dieses Prinzip eingeführt, um die Fluktuation in seiner Firma zu senken. Seitdem seine Mitarbeiter selbst unternehmerisch handeln dürfen, bleiben sie.

Gammel Engineering bietet Inge­nieursdienstleistungen vor allem für Energieerzeugung und Gebäudetechnik an, in beiden Branchen passiert fast täglich Neues. Die Ingenieure in Abensberg versuchen, dieses Neue schnellstmöglich in den Griff zu kriegen. „Sie werfen mir den Ball zu“, sagt Gammel. „Meine Aufgabe ist, das ­weiterzudenken und strategisch einzuordnen: Wie passt das ins Portfolio? Welcher Zielgruppe nützt das?“

Bis aus einer Idee eine Dienstleistung wird, fliegen die Bälle ständig hin und her. „Die Kollegen haben Spaß da­ran“, sagt er, „und scheuen dann auch nicht die Mühen.“ Zumal sie merken, dass der Firmenchef einen Umgang auf Augenhöhe pflegt. Wozu laut Gammel auch zählt, sich hinterfragen und sogar überstimmen zu lassen.

Das erfordert Größe und Mut. Nicht jede Führungskraft mag sich mit flachen Hierarchien anfreunden und mit Mitarbeitern, die Mitentscheider werden. Wer sich davor ängstigt, dem fehle die Kraft zum Führen, sagt Hartwig Marx. Schließlich gebe er ständig ­Impulse, stelle Weichen und treibe ­Projekte voran; die Fäden laufen ja ­weiterhin bei ihm zusammen. Wenn er Angestellten bei privaten Problemen hilft, Jobs an Bewerber mit miserablen Zeugnissen vergibt und Führungskräfte austauscht, falls die es an Respekt gegenüber Kollegen vermissen lassen, gestaltet er zugleich die Zukunft der Marx Gruppe. „Ganz egoistisch“, findet sich Marx dabei. „Ich mache das ja nicht zuletzt, damit es mir selbst gut geht.“ Und der Firma.

In Kürze

Fünf Fakten zum Thema Wertschätzung

- Nur jeder zweite Arbeitnehmer ­in Deutschland bescheinigt seinen Chefs einen wertschätzenden Führungsstil.

- Chefs sind heute häufig eher unterstützender Koordinator, denn „Alles-noch-besser-Wisser“.

- Erfahrungen am Arbeitsplatz werden als innere Einstellungen und Haltung verankert. Dann werden Mitarbeiter unmotivert. Und das lässt sich auch durch Bestrafungen oder Belohnungen nicht mehr so leicht ändern.

- Richtige Führung kann die Motivation der Mitarbeiter von innen heraus befeuern. Dafür müssen von diesen Tätigkeiten müssen als sinnvoll wahrgenommen und als spannende Herausforderung angenommen werden.

- Wertschätzend handelt man als Führungskraft, wenn man sich einsetzt, dass Mitarbeiter ihre Potenziale entfalten können. Der wichtigste Schlüssel dafür: Kommunikation, ins Gespräch kommen und bleiben.


Titelfoto: © Benne Ochs