Das dritte Geschlecht in der Arbeitswelt

Die Kölner Arbeitsrechtlerin Nathalie Oberthür fasst zusammen, mit welchen Änderungen Betriebe durch die neue Bezeichnung „divers“ rechnen müssen.


03.04.2019 - Nadine Osterhues -4 MinutenArbeitswelt gestalten

Mit dem Wort „divers“ lassen sich nun offiziell Personen bezeichnen, die nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind. Das hat Einfluss auf Betriebe und ihren Umgang mit dem Thema. Die Kölner Arbeitsrechtlerin Nathalie Oberthür fasst die wichtigsten Änderungen zusammen.

Was hat sich verändert?

Seit Januar 2019 steht neben „männlich“ und „weiblich“ das dritte Geschlecht „divers“ als weitere Option im Geburtenregister zur Verfügung. Theoretisch kann jeder seinen Eintrag in „divers“ ändern lassen, solange er ein Attest vorlegt, das laut Gesetzestext eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ nachweist. Wenn schon als Baby eine geschlechtszuweisende Operation vollzogen wurde, existiert manchmal kein Nachweis mehr darüber. Menschen, die etwa eine nachträgliche medizinische Untersuchung als unzumutbar empfinden, können alternativ dazu eine eidesstattliche Erklärung abgeben.

Was verändert sich bei Stellenausschreibungen?

In vielen Ausschreibungen steht nun neben den Abkürzungen für männlich (m) und weiblich (w) die Abkürzung „d“ für divers. Damit umgeht der Arbeitgeber mögliche Entschädigungsklagen, denn so grenzt er das dritte Geschlecht beim Stellengesuch nicht aus. Jede Form der Ausgrenzung einer bestimmten Personengruppe kann vor Gericht als Indiz für eine Benachteiligung gelten.

Ignorieren Sie die Änderungen durch „divers“ nicht!

Einen Menschen aufgrund seines Geschlechts zu benachteiligen ist eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Die kann teuer werden. Für jedes Unternehmen, egal welcher Größe, gilt: Es gibt keine Ausrede fürs Nichtstun. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – und dazu gehört nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch das dritte. Ein abgelehnter Bewerber, der sich von Ihrer Stellenausschreibung diskriminiert fühlt, kann klagen und hat möglicherweise Aussicht auf eine Entschädigung. Bereits beschäftigten Mitarbeitern steht ein Beschwerderecht zu. Arbeitgeber oder Vorgesetzte müssen die Beschwerde prüfen und geeignete Maßnahmen treffen, damit sich die Benachteiligung nicht wiederholt.

Arbeitgeber sind verantwortlich für ihre Mitarbeiter

Wenn Ihre Mitarbeiter Kunden oder Kollegen diskriminieren, sind Sie als Arbeitgeber dazu verpflichtet zu handeln. Kritzeleien auf dem Spind, hässliche Bemerkungen, Mobbing: Diskriminieren lässt sich leider alles und jeder. Sie müssen dann einschreiten – auch wenn jemand einen Ihrer Mitarbeiter diskriminiert.

Wie geht es weiter?

Das Personenstandsrecht wurde geändert, doch es sind noch Fragen offen: Wird sich etwas bei der Ansprache von Mitarbeitern und Kunden verpflichtend ändern müssen? Gegebenenfalls. Wird sich die Arbeitskleidung in bestimmten Berufsfeldern ändern? Möglicherweise. Für Stewardessen oder vergleichbare Berufsgruppen würde vielleicht gelten, dass sich jemand mit dem Geschlecht „divers“ für die männliche oder weibliche Bekleidungsform entscheidet. Vieles ist noch ungeklärt, daher bietet es sich an, sich jetzt schon gemeinsam mit den Mitarbeitern Gedanken über ein diskriminierungsfreies Arbeitsklima und eine passende Umgebung zu machen.

Eleganter Umgang mit dem Mailverkehr

Schon jetzt ist ein „Liebe Kollegen“ nach dem AGG heikel – wenn der Betrieb nicht ausdrücklich erklärt, auch Frauen damit anzusprechen. Für Unternehmen ist es daher sinnvoll, in der Kommunikation neutral aufzutreten: „Liebe Belegschaft“ oder „Liebe Mitarbeitende“. Das ist eine neutrale Form, mit der sich Alternativen wie „Gendersterne“ („Liebe Kolleg*innen“) oder Unterstriche vermeiden lassen.

Änderungen für Online-Formulare

Ein Adressfeld, in dem die Kunden nur zwischen „Herr“ und „Frau“ wählen können, wird in Zukunft nicht mehr rechtssicher sein. Unter anderem sind davon Online-Shops betroffen. Auch Online-Bewerbungsformulare müssen aufgrund des dritten Geschlechts überdacht werden.

Brauchen Betriebe eine dritte Toilette?

Wer genug Kapazitäten hat, kann sich das durchaus überlegen. Bisher legt die Arbeitsstättenverordnung (AVO) fest, dass es getrennte Wasch-, Toiletten- und gegebenenfalls Umkleideräume für Frauen und Männer geben muss. Doch die AVO ist durch die Anerkennung des dritten Geschlechts nun nicht mehr aktuell und könnte als diskriminierend ausgelegt werden, wenn sie das dritte Geschlecht nicht berücksichtigt. Hier bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber mit der AVO verfährt. Arbeitgeber sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht dazu verpflichtet, zusätzliche Toiletten einbauen zu lassen. Möglicherweise wird es auf Alternativen hinauslaufen, etwa einer Kombination – ähnlich wie für Behinderten- und Damentoiletten. Denkbar sind auch Unisex-Toiletten. Die sind in anderen Ländern schon üblich – meines Erachtens aber nicht wünschenswert.

Neue Meldungen an die Sozialversicherung

Das dient nur zur Info für den Arbeitgeber: Bei der Rentenversicherungsnummer geben die beiden Ziffern nach dem ersten Buchstaben des Nachnamens Hinweise auf das Geschlecht. Die Nummer taucht auf Lohnabrechnungen auf, sie muss in den Meldungen zur Sozialversicherung angegeben werden, steht auf den Informationen zur Rentenversicherung und ist der Krankenkasse bekannt.

Zur Person

Nathalie Oberthür

Nathalie Oberthuer
© Privat

Dr. Nathalie Oberthür ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Sozialrecht in Köln und Vorsitzende des Arbeitsrechtsausschusses im Deutschen Anwaltverein. Sie berät und vertritt Arbeitgeber und -nehmer in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Mehr Infos: Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben

 


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