Delia Fischer: „Mitarbeiter müssen schwärmen können“

Mit 31 Jahren ist Unternehmerin Delia Fischer Chefin von 1600 Mitarbeitern weltweit. Doch bei ihrem Onlineshop Westwing lief anfangs nicht alles glatt.


05.09.2016 - Esther Werderinghaus -8 MinutenArbeitswelt gestalten

Mit 31 Jahren ist Unternehmerin Delia Fischer Chefin von 1600 Mitarbeitern weltweit. Doch bei ihrem Onlineshop Westwing lief anfangs nicht alles glatt.

Delia Fischer blättert durch Zeitschriften
© Westwing - Inspirieren lässt Delia Fischer sich von Trends aus aller Welt – und von Ihren Mitarbeitern.

Delia Fischer kann einfach nicht aufhören, die Welt ein wenig schöner zu machen. Wenn sie in einer Behörde sitzt, möchte sie am liebsten alles umgestalten. Genauso geht es ihr in der U-Bahn oder im Krankenhaus. Dann tauscht sie in Gedanken still und leise die weißen Vorhänge aus und hängt schönere Bilder auf. Egal wo sie ist, das Gestalten hört nicht auf im Kopf von Delia Fischer, 31 Jahre alt, Deutschlands erfolgreichste Jungunternehmerin.

Das Rastlose ist Teil ihres Erfolges. Mit ihrer Firma Westwing, einem exklusiven Online-Shoppingklub, beliefert sie Haushalte bis weit über die Landesgrenzen hinaus. Kassettendecken von Böhmerwald, Weingläser von La Rochère, Kühlschränke von Smeg, Sofas, filigrane Vasen, Kissen, Leuchter – über 26 Millionen Mitglieder zählt ihr Online-Shop bereits, in 14 Ländern auf drei Kontinenten ist er aktiv. Jahresumsatz: 183 Millionen Euro.

Harte Lektionen für Delia Fischer – gleich zu Beginn

Ihre Vita liest sich wie ein Paradebeispiel aus dem Handbuch für Existenzgründer: Nach dem Studium zur Modejournalistin wird sie Redakteurin bei der ELLE. Dort fällt ihr auf, dass es unzählige Onlineshops für Bekleidung gibt, aber nur wenige für moderne Möbel und Wohnaccessoires. Langsam keimt der Gedanke in ihr, sich selbstständig zu machen. Im April 2011 kündigt sie ihren sicheren Job und gründet Westwing: Einkaufen darf nur, wer kostenlos Mitglied wird – und akzeptiert, die persönlichen Daten gegen tägliche Werbemails zu tauschen. Im Gegenzug erhalten die Kunden Rabatte.

Vier Mitstreiter mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund holt sie sich an Bord, als sie 2011 Existenzgründerin wird. Dann folgt die Überzeugungsarbeit. Die Investoren müssen erstmal nachvollziehen können, warum ihr Geld gut angelegt ist, wenn Delia Fischer davon Bettwäsche, Kerzenständer und Duftkerzen kauft. Doch nach einigen Anläufen klappt es. Und dann geht alles ganz schnell.

Zitat:

„Jemandem kündigen zu müssen ist sehr schmerzhaft" (Delia Fischer, Gründerin von Westwing)

Anfang 2012 ist das Unternehmen in 17 Märkten präsent, immer mehr Einkäufe, immer mehr Investitionen. Erst geht es steil bergauf. Und dann – bergab. Ein Teil des Problems liegt in der Logistik. Das Team schätzt die Frachtkosten falsch ein, Stühle und Tische zu verschicken ist eben erheblich teurer als eine Ladung leichter T-Shirts oder Röcke. Die Ware kann also nicht von einem einzigen zentralen Lager in Europa verschickt werden, es braucht in jedem Land ein eigenes Lager, sagt Fischer. Aber das war ihnen damals nicht gleich klar. Es gab einige Probleme mit denen sie nicht gerechnet haben. „In Delhi etwa werden im E-Commerce die Waren auf kleinen Mopeds ausgeliefert“, erinnert sich Delia Fischer. Sieben Auslandsableger muss sie am Ende schließen und Mitarbeiter in einigen Ländern und auch am Stammsitz in München entlassen. Eine der härtesten Lektionen für eine junge Unternehmerin. „Jemandem kündigen zu müssen ist sehr schmerzhaft“, erinnert sich Fischer und man merkt ihr an, wie sehr das an ihr gezehrt haben muss.

Verantwortung abzugeben verbessert das Arbeitsklima

Heute weiß sie, dass es für fast jedes Problem eine Lösung gibt und dass sie aus den Fehlern von früher viel lernen konnte. Eine der Hürden von damals war auch das Delegieren. „Anfangs wollte ich die Kontrolle über alle Abläufe behalten, alles sollte gut laufen“, erinnert sie sich. Damals erledigte sie viele Aufgaben, die eigentlich Angestellte übernehmen konnten. „Wenn man das 100 Mal am Tag macht, geht einfach zu viel Zeit dafür drauf“, sagt sie. Eigentlich meint sie es nur gut, aber die Kettenreaktion lässt nicht auf sich warten. Mitarbeiter fühlen sich übergangen, denken, sie traut ihnen nichts zu. „Auch, wenn du es gar nicht so meinst – beim Mitarbeiter entsteht da ein blödes Gefühl.“ Sie hat gelernt, mehr Verantwortung abzugeben und gemerkt, wie positiv sich das aufs Arbeitsklima auswirkt.

Von mangelndem Vertrauen ist an ihrem Firmensitz im Osten von München nichts zu spüren. Die Mitarbeiter Duzen sich, keiner rennt hektisch über die lichtdurchfluteten Gänge. Jeder Raum sieht anders aus: einer erscheint im kühlen Weißblau, im nächsten fällt die Tapete mit Rosenblüten ins Auge, silbergrau glänzende Sesseln umrahmen einen Konferenztisch. Jeder Raum ist in Szene gesetzt. Hier verschönert ein senffarbener marrokanischer Lederpuff das Ambiente, dort hängen Spiegel in Form von Sonnen über Sofas. Akurat aufeinandergestapelte Bildbände stehen in den Regalen, teilweise nach Farbe sortiert. Eher unbewusst zupft man sich jetzt die Kleidung zurecht. Der überall durchschimmernde Perfektionismus macht Delia Fischer aber nicht unsympathisch. Wenn sie mit ihrem leicht bajuwarischen Einschlag spricht, bekommt das Setting sogar etwas Heimeliges.

Kreativität beim DIY-Abend für Mitarbeiter

Wie bleibt man ständig kreativ, spürt neue Trends auf? Mit viel Input von den Mitarbeitern, sagt Fischer. Auf Zuruf, per Mail, in Meetings. Wichtig ist ihr Inspirationen von allen Seiten, daher arbeiten Menschen aus sämtlichen Nationalitäten für sie, Geschäftssprache ist Englisch. Sie erreicht das Vertrauen der Mitarbeiter durch flache Hierarchien. Jeder Praktikant kann an ihre Tür klopfen. Ideen kommen aus jeder Abteilung zu ihr, fast täglich. Warum? Weil sich die Leute mit dem Unternehmen identifizieren, sagt sie. Das läge auch an den vielen Workshops und Events, die sie für die Mitarbeiter anbieten.  „Wir sind immer noch ein Start-up und vieles ist verbesserungswürdig“, sagt Fischer, „aber wir bieten viel an, damit sich unsere internationale Mannschaft schneller Zuhause fühlt und es Neuankömmlinge generell einfacher habe“.  Deutschkurse stehen auf der Tagesordnung sowie Weiterbildungskurse zum Thema „Wie strukturiere ich meinen Kalender“, in denen das Finance-Team dann Excelkurse erteilt. „Eine sehr junge Kollegin leitet ein Team von 60 Leuten, für Leute wie sie ist so ein Coaching absolut wichtig“, sagt sie. Aber Fischer setzt auch auf Treffen, die das Zusammengehörigkeitsgefühl fördern. Bei den Do-it-yourself-Abenden etwa, wo die Leute ungezwungen Ostereier bemalen oder Weihnachtskränze basteln. Viele gute Gespräche über die Firma entstehen bei diesen scheinbar belanglosen Tätigkeiten, viele Verbesserungsvorschläge oder neue Ideen. Und wer sich wohlfühlt, bleibt dem Unternehmen auch lange erhalten, darauf setzt die Unternehmerin.

Fischer ist vor allem wichtig, ein gutes Gespür für Mitarbeiter zu entwickeln. Von Anfang an. Wer passt zu ihr, wer identifiziert sich mit dem Unternehmen? In den Bewerbungsgesprächen erkennt Sie schon mal das Wichtigste: Ob jemand die nötige Leidenschaft hat. „Ich frage meistens: Wie ist dein Einrichtungsstil? Wenn sie oder er dann von Plänen erzählt, die eigene Wohnung umzugestalten oder bestimmte Accessoires zu kaufen, erkenne ich die Liebe zum Fach. Es gibt Kandidaten, die hadern zu sehr bei der Frage“, sagt Fischer. „Mitarbeiter müssen auch schwärmen können“.

Das Durchschnittsalter der Angestellten liegt bei 30 Jahren. Aber es gibt auch wesentlich ältere Kollegen als Delia Fischer. „Anfangs war es für mich nicht leicht, als Vorgesetzte der Älteren aufzutreten. Ich komme aus einem Kuhdorf in Bayern und da waren Ältere Respektspersonen, denen man nur auf eine bestimmte Art begegnet. Es war eher diese innere Haltung, die ich ablegen musste, als dass es tatsächlich zu Autoritätsproblemen zwischen mir und einem Angestellten gekommen ist.“

Fragebogen

Westwing-Gründerin Delia Fischer über…

Gute Kleidung bei Mitarbeitern
Die ist schon wichtig, aber im IT-Bereich natürlich nicht ganz so wie bei den Style-Beratern. Shorts und Schlappen gehen einfach nicht.

Trennung von Job und Privatem
Freunde würde ich nicht ins Unternehmen holen. Man weiß nie, wie sich die Zusammenarbeit entwickelt. Ich möchte sie nicht verlieren, wenn es nicht gut läuft. Wenn sich Freundschaften am Arbeitsplatz entwickeln, ist das etwas anderes.

Duzen und Siezen
Das Duzen schafft mehr Nähe in einem Beruf, der so viel mit den Themen Wohlfühlen, Geschmack und Kreativität zu tun hat.

Homeoffice und Anwesenheit
Anwesenheit und Blickkontakt sind wichtig. Aber jemand, der mal zu Hause texten muss oder eine Bandprobe hat, die er nicht verschieben kann, darf gern mal Homeoffice machen.

Flexible Arbeitszeiten
Das geht in manchen Bereichen. Ich selbst gehöre eher zu den Nachteulen und habe Verständnis für „Spätarbeiter“. In Bereichen wie dem Customer Service geht’s aber nicht. Kundenbetreuer müssen zu bestimmten Zeiten erreichbar sein. Und natürlich gibt es auch die frühen Vögel, die gern um sieben Uhr arbeiten und dafür lieber früher gehen. Geht alles.

 


Titelfoto: © Dirk Bruniecki/laif