Multispace: der Büro­trend des nächsten Jahrzehnts

Psychologe Andreas Schubert, Geschäftsführer von Great Place to Work, erklärt, warum die Gestaltung von Büro und Arbeitsplatz den Unternehmenserfolg beeinflusst.


05.02.2020 - Antonia Kemper -6 MinutenArbeitswelt gestalten

Die Gestaltung von Arbeitsplatz und Büro ist entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens. Psychologe Andreas Schubert, Geschäftsführer von Great Place to Work erklärt, warum eine bedarfsgerechte Einrichtung wichtig ist und welche Rolle die Mitarbeiter spielen.

Faktor A: Die meisten Angestellten sitzen heute mit einem oder mehreren Kollegen in einem Zimmer oder arbeiten in einem Großraumbüro – und das, obwohl Studien belegen, dass sich dort viele nicht nur weniger gut konzentrieren können, sondern sich auch gestresster und unkreativer fühlen. Unsere Büros scheinen demnach ziemlich ungesund und schädlich zu sein, oder?

Andreas Schubert: Ja und nein. Schädlich ist vor allem die Kultur, die in manchen Unternehmen herrscht. Und diese Kultur kann Räume beeinflussen – im positiven wie im negativen Sinne. Inzwischen achten aber immer mehr Arbeitgeber darauf, was ihre Mitarbeitenden benötigen, um gute Arbeit leisten zu können, und schaffen dafür die entsprechenden Umgebungen. Sie haben nämlich erkannt, dass sich durch die Gestaltung von Flächen unter anderem die Zusammenarbeit fördern lässt. Und auch sonst kümmern sie sich darum, dass die Menschen immer den Raum vorfinden, den sie für die jeweilige Aufgabe benötigen.

Was heißt das?

Arbeit ist ja vielfältig geworden. Es muss ruhige Bereiche geben für Tätigkeiten, die man konzentriert erledigen muss. Und Bereiche, in denen man mit anderen interdisziplinär und teamübergreifend für ein Projekt zusammenarbeiten kann. Räume müssen also flexibel nutzbar sein.

Welchen Einfluss hat denn die Gestaltung von Büros auf die Leistung und Motivation der Mitarbeiter?

In Unternehmen mit einer miserablen Kultur – gar keinen. Egal, wie schön sie eingerichtet sind. Doch viel wichtiger als die Frage nach dem Was finde ich die Frage nach dem Wie: „Wie kommt es zu der Entscheidung, wie die Räume aussehen sollen?“ Erfolgreiche Unternehmen fragen ihre Angestellten: „Wie arbeitet ihr? Was braucht ihr?“ Sie binden ihre Leute bei der Entwicklung von Raumkonzepten mit ein. Natürlich findet dann trotzdem nicht jeder seinen Bedarf vollständig gedeckt, aber den der meisten ziemlich gut.

Fällt Ihnen ein Beispiel ein?

© Great Place To Work - Andreas Schubert

Einer Firma in Berlin wurden ihre Räume zu klein, ein Umzug stand an. Die Geschäftsführung übertrug daraufhin ihren Mitarbeitern nicht nur die Entscheidung über die Ausstattung der Büros, sondern vollends die Wahl des neuen Standorts. Die beschlossen dann, dass dabei vor allem die Bedürfnisse von Familien zu berücksichtigen seien, um Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung zu vermeiden. Anschließend wurde ganz demokratisch über die verschiedenen Alternativen abgestimmt. Und der Vorschlag mit den meisten Stimmen wurde später auch der neue Standort. 

Und wo hat es nicht so gut geklappt?

Bei einem IT-Unternehmen. Da hatte die Leitung einen modernen Großraum geschaffen. Dabei waren ihre Leute allesamt Entwickler, die konzentriert arbeiten wollten. Die hatten gar nicht den Wunsch, ständig zu kommunizieren. Es wurde also komplett am eigentlichen Bedarf vorbeigeplant. Oder die Firma, in der entschieden worden war, dass künftig alle in einem Open Space arbeiten sollten. Dort bestanden die Führungskräfte allerdings darauf, ihre Einzelbüros zu behalten. Klar, dass das nach hinten losging: Wenn man will, dass sich alle öffnen, muss das auch für alle gelten.

Sie selbst haben kürzlich Ihr Geschäftsführerzimmer freiwillig aufgegeben. Warum?

Wir hatten ein Raumproblem, und da ich ohnehin viel unterwegs bin und zum Arbeiten nur einen Laptop und ein Telefon mit VOIP brauche, setze ich mich seitdem immer dahin, wo gerade Platz ist. Ich vermisse nichts. Im Gegenteil. Für mich ist das eine gute Gelegenheit, mich mit den Kollegen auszutauschen.

Im Gegensatz zu Ihnen ist es aber vielen Menschen wichtig, einen festen Arbeitsplatz zu haben, den sie auch individuell einrichten können. Die Vorstellung, ihren Schreibtisch teilen zu müssen, finden sie schrecklich.

Arbeitsplätze vollkommen zu anonymisieren, sollte man sicher vermeiden. Wir alle brauchen in unserem Leben ein Gefühl der Sicherheit und der Beständigkeit – gerade bei den aktuellen Veränderungsdynamiken. Ich finde es klasse, was neue Bürokonzepte inzwischen leisten. Eines beispielsweise sieht vor, dass den Mitarbeitern, die in Teams zusammenarbeiten, ein Regal bereitgestellt wird, in dem alle ihre persönlichen Dinge unterbringen können.

Bleibt die Sorge, in Großraumbüros ständig gestört zu werden. Ist sie berechtigt?

In solchen Räumen ist die Lautstärke und Unruhe naturgemäß höher. Und tatsächlich wird der Bedarf an Rückzugsmöglichkeiten häufig unterschätzt. Bei solchen Konzepten müssen selbstverständlich genügend Räume für Konzentrationsarbeit eingeplant werden. Bei Great Place to Work nutzen wir zum Teil spezielle Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung, um uns abzuschirmen. Darüber lassen sich auch Musik oder Naturgeräusche einspielen. Aber ich glaube auch, dass sich Menschen mit der Zeit an neue Arbeitsumgebungen gewöhnen können; die muss man ihnen aber auch geben.

Welchen Anteil hat denn eine bedarfsorientierte Ausgestaltung letztendlich an der Produktivität der Mitarbeiter? 15 Prozent? 25 Prozent?

Das lässt sich nicht seriös beantworten. Wenn man aber Raumkultur als Teil der Arbeitsplatzkultur sieht, steht fest, dass unter anderem die Fluktuation bei Unternehmen, die die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter respektieren, 50 Prozent unter dem deutschen Durchschnitt liegt, dass sich die Menschen doppelt so stark an ihre Arbeitgeber gebunden fühlen und dass die Bewerberquote dort um das Drei- bis Zehnfache über dem Durchschnitt hierzulande liegt. Außerdem erzeugen diese Unternehmen eine doppelt so hohe Umsatzrendite wie der deutsche Durchschnitt, und international haben diese Firmen eine dreifach höhere Aktienperformance. Es lohnt sich also sehr, den Menschen in den Blick zu nehmen.

Wird der Multispace auch die Büroform der Zukunft sein?

Ob es ein Modell für die nächsten 50 Jahre sein wird, mag ich nicht vorherzusagen. Aber für die nächsten Jahre ist er für viele Unternehmen und deren Themen wie Flexibilisierung und Agilität die richtige Form, um schneller, innovativer und bedarfsorientierter arbeiten zu können. Es wird auch künftig immer darum gehen, die richtige Umgebung für eine sich verändernde Arbeitswelt zu schaffen und die Menschen zu fragen, was sie dafür brauchen.

Und wenn sie sagen: „Wir brauchen kein Großraumbüro“?

Dann muss man das erst mal ernst nehmen. Nichtsdestotrotz kann man ihnen sagen: „Lasst es uns ausprobieren. Ein, zwei Teams testen die neue Umgebung, und wir werten ihre Erfahrungen anschließend aus.“ Ohnehin kommt gerade die Virtual Reality in der Arbeit dazu. Das heißt, man wird künftig verstärkt in virtuellen Teams weltweit zusammenarbeiten. Entsprechend wird der Bedarf nach einer VR-Umgebung wachsen. Die Ausgestaltung des virtuellen Raums wird dann wichtig werden – und der reale Raum keine zentrale Rolle mehr spielen.

Kurz erklärt: Great Place to Work

Great Place to Work ist ein weltweit agierendes internationales Forschungs- und Beratungsinstitut, das Unternehmen mit Standorten in rund 60 Ländern dabei unterstützt, eine exzellente und motivationsfördernde Firmen- und Arbeitsplatzkultur zu entwickeln. Durch anonyme Mitarbeiterbefragungen und die Auditierung von Personalmaßnahmen vergibt Great Place to Work jedes Jahr die Auszeichnung „Beste Arbeitgeber“ in Deutschland, Europa und weltweit. Das deutsche Institut wurde 2002 gegründet und beschäftigt derzeit rund 90 Mitarbeitende in Köln.

Faktor A Serie

Das ideale Büro

Weniger Fluktuation, mehr Bewerber, größerer Umsatz – eine gelungene Arbeitsplatzgestaltung kann viele positive Wirkungen haben. In unserer vierteiligen Serie „Das ideale Büro“ zeigen wir Unternehmen, die sich intensiv mit ihrer Büroeinrichtung auseinandergesetzt haben:

Teil 1 – Expertengespräch mit Andreas Schubert: der Bürotrend des nächsten Jahrzehnts
Teil 2 – Beispiel CMS Hasche Sigle Berlin: die Wirtschaftskanzlei mit Wohlfühlbüro
Teil 3 – Beispiel Sparkasse Weiden: Die Form folgt der Funktion
Teil 4 – Beispiel Yves Rocher: offenes Büro, bessere Kommunikation


Titelfoto: © AKIM photography