
Innovationen
Ein Spinner und sein Drachen
Stephan Wrage will mit seiner Geschäftsidee eine erzkonservative Branche umkrempeln. Ein Zugdrachen soll die Handelsschifffahrt revolutionieren und gleichzeitig die Umwelt schützen. Noch hat der Hanseat einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten – an allen Fronten.

2004 stach "Jan Luiken" in See, das erste Schiff mit einem Skysail.
Die Idee für seinen revolutionären Segelantrieb kam dem 38-Jährigen während seines Studiums: Er begriff früh, dass der Treibstoff knapp wird und der Klimawandel kommt. 2001 gründete er von einem Sperrholzschreibtisch in seinem Wohnzimmer in Hamburg-Ottensen aus Skysails, gemeinsam mit seinem Partner Thomas Meyer, einem Schiffsbauingenieur aus Berlin. Inzwischen ist Meyer ausgestiegen, bleibt jedoch Gesellschafter und steht Skysails beratend zur Seite. Bei aller Euphorie und Überzeugung bekommt Wrage, der als Hamburger Jung begeisterter Segler und Drachenlenker ist, oftmals Gegenwind. Weder Investoren noch Kunden rennen ihm die Türen ein. Hinzu kommen immer mal wieder unvorhergesehene technische Probleme. Die Fragen ungeduldiger Wegbegleiter wehrt er mit einer Gegenfrage ab: „Wie esse ich einen Elefanten?“, will er dann mit einem Grinsen im Gesicht wissen. „Stück für Stück.“ Wrage hätte mit seinem Prädikatsexamen zwar auch in die Industrie gehen können, „doch mein Lebenswerk wäre es nicht, dazu beizutragen, dass Pampers pro Windel fünf Cent mehr verdient“, sagte er einmal der „Zeit“. Für ihn war immer klar, dass er Unternehmer sein würde. Schon seine Urgroßeltern hatten einen Feinkostladen. Und so tüftelte er Anfang der 2000er Jahre am Antrieb seines Drachens. Heute hat er nur noch selten mit der Entwicklung zu tun. Seine Zuständigkeiten sind Marketing, Vertrieb, Investor Relations und die Geschäftsentwicklung. Gespräche führen und überzeugen – das ist sein Job. Neben ihm gibt es drei alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer, Unterstützung bietet ein fünfköpfiger Beirat.
Inzwischen beschäftigt Skysails 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Großteil arbeitet in Hamburg, in Wismar 30 Kräfte in der Fertigung. Wrage weiß um die Bedeutung von zuverlässigem Personal: „Gute Leute finden ist die entscheidende Arbeit beim Aufbau eines Unternehmens“, sagt er. Der Techniker sucht Überzeugungstäter, Leute, die hinter seiner Vision stehen:„Wer für Geld kommt, geht auch für Geld.“ Dennoch hat er sein Team mit einem kleinen Anteil von acht Prozent an der Firma beteiligt. Die ersten 25 Mitarbeiter hat Wrage persönlich eingestellt – und dabei „den einen oder anderen Fehlgriff“ gemacht: „Gerade am Anfang mussten die meisten Mitarbeiter oft drei, vier, fünf verschiedene Rollen wahrnehmen. Dafür braucht es spezielle Typen, das kann nicht jeder“, sagt der Chef. 2004 hat er die Personalverantwortung an einen Geschäftsführer-Kollegen übergeben. „Aber bis heute lese ich jeden Lebenslauf, der für eine Stellenbesetzung in die engere Wahl kommt, intensiv. Ich mache Anmerkungen und notiere Fragen für das Personalteam.“

Wrages Blick aus dem Fenster: Skysails hat seinen Sitz im schmucklosen Teil des Hamburger Hafens in Harburg. Dicht an potenziellen Drachen-Kunden.
Wrage ist vom Ingenieur zum Vorzeige-Unternehmer aufgestiegen. Er wurde zigfach geehrt, ist Mitglied bei den Young Global Leaders im Weltwirtschaftsforum. Mag sein, dass sein guter Ruf ihm inzwischen hilft, Geld für seine Idee aufzutreiben. Teils hat er selbst investiert, nach und nach konnte er aber auch Investoren gewinnen und Fördergelder eintreiben. Klamme Kassen kennt er dennoch. Zuletzt wurde es in der Wirtschaftskrise Ende 2008 eng: Im September des Krisenjahres holte Wrage noch Aufträge – im Januar 2009 waren von 120 zum Teil angedachten Projekten nur noch fünf übrig. Trotzdem hat Skysails überlebt. „Wir hatten keine Entlassungswelle, eher einen Umbau, und nur wenige Leute verloren.“ Wrage senkte Kosten und überzeugte im vergangenen Januar einen neuen Investor, den niederländischen Technologiekonzern DSM. So und dank weiterer Gelder kamen 15 Millionen Euro in die Kasse. Break-Even hofft Wrage nun 2013 zu erreichen. Zurücklehnen kann und will er sich aber noch lange nicht: „Bis dieses Unternehmen finanziell ein Erfolg ist, ist noch sehr viel Arbeit zu tun.“

Vorbilder? "Einstein, weil er seiner Zeit voraus und revolutionär war", sagt Stephan Wrage.
Profil
Querdenker Stephan Wrage
1972 wird Stephan Wrage in Hamburg geboren. Schon als Jugendlicher ist er begeisterter Segler und Lenkdrachenflieger.
1993 macht er sich als Berater für EDV- und Chipkartenlösungen selbstständig, hört aber bald wieder auf.
1994 beginnt er sein Studium zum Wirtschaftsingenieur mit den Schwerpunkten Maschinenbau, Logistik, Innovationsmanagement und Controlling. Er studiert an der TU Kaiserslautern und der TU Dresden und schließt mit Prädikatsexamen ab.
1997 arbeitet er im Rahmen seines Studiums an einem Fabrikneubau der SAD GmbH in Dresden, einem Unternehmen, das Antriebe fertigt.
2001 gründet Stephan Wrage Skysails.
2004 sticht „Jan Luiken“ in See, das erste Schiff mit einem Skysail.
2009 rüstet Skysails eine erste Serie von drei Frachtschiffen mit dem Drachenzug-System der neuesten Generation aus. Stephan Wrage lebt mit seiner langjährigen Lebensgefährtin in Hamburg.
Daniel Hautmann
Titelfoto: © Iris Friedrich