
Gelebte Inklusion am Arbeitsplatz
„Der Aufwand? Hält sich in Grenzen“
Bei den Stadtwerken Hameln arbeiten 138 Mitarbeiter, darunter zwölf schwerbehinderte Menschen und ihnen gleichgestellte*. Seit 2016 gehört auch Alexander Baum zum Team. Der heute 22-Jährige leidet an Muskeldystrophie nach Duchenne, einer seltenen Erbkrankheit, die die Muskeln lähmt und mit der Zeit schwinden lässt. Baum absolviert derzeit in der IT-Abteilung der Stadtwerke eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration.

Seit über zwei Jahren Kollegen bei den Stadtwerken Hameln: Alexander Baum und Nina Rose.
Ich kenne einige Jungs, die die gleiche Krankheit haben wie ich und ebenfalls im Rollstuhl sitzen. Die haben wirklich Schwierigkeiten, eine passende Stelle zu finden. Einer ist schon seit Jahren auf der Suche und bekommt nichts. Er sitzt zu Hause bei seinen Eltern und langweilt sich. Ein anderer hatte einen ziemlich guten Job in der Buchhaltung eines Pflegeheims. Als ein Kollege kündigte, sollte er seine Arbeit mitmachen, was nicht ging. Ich habe wirklich Glück gehabt, einen so guten Ausbildungsplatz zu finden.“
Fünf Fragen an
Nina Rose, 37, Personalreferentin bei den Stadtwerken Hameln
Faktor A: Hatten die Stadtwerke eigentlich bereits vor der Einstellung von Alexander Baum Erfahrung mit Schwerstbehinderten?
Nina Rose: Nein. Bei uns haben zwar schon immer Schwerbehinderte gearbeitet, sowohl in kaufmännischen wie technischen Bereichen. Doch viele Kollegen haben keine körperlichen Einschränkungen, denen merkt man die Behinderung gar nicht an. Mit Alexander Baum beschäftigen wir jetzt den ersten Rollstuhlfahrer.
Warum haben sich die Stadtwerke entschieden, Alexander Baum einen Ausbildungsplatz anzubieten – und das, obwohl ihn seine Krankheit stark beeinträchtigt?
Zunächst mal ist er uns durch sein sehr gutes Abiturzeugnis aufgefallen. Deshalb haben wir ihn auch zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Aus der Bewerbung ging zwar hervor, dass er behindert ist, aber das Ausmaß war uns nicht bekannt. Wir haben ihn dann zu einem dreitägigen Kurzpraktikum in die IT-Abteilung eingeladen, damit er und wir testen konnten, ob es funktionieren würde. Und es funktionierte. Außerdem haben sich die Kollegen für ihn stark gemacht und gesagt: „Wir kümmern uns um ihn.“
Einen Schwerstbehinderten zu beschäftigen, ist ja auch tatsächlich eine Herausforderung …
Uns hat vor allem sein Willen beeindruckt und das, was er bis dahin geschafft hatte. Alternativ wäre für ihn vermutlich nur eine Behindertenwerkstatt infrage gekommen, und da gehört er von seinen geistigen Fähigkeiten definitiv nicht hin. Dass er sein Leben gestalten und eine sinnvolle Aufgabe haben will, hat uns gefallen. Darin wollten wir ihn unterstützen und fördern. Als regionaler Energieversorger sind wir auch der Ansicht, dass wir eine gesellschaftliche Verpflichtung haben. Wenn nicht wir, wer dann? Aber natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen und Qualifikationen passen. Und bei Alexander Baum hat beides gepasst.
Trotzdem musste doch sicher einiges umgestaltet werden. Ein ziemlicher Aufwand, oder?
Es hielt sich in Grenzen. Einen Aufzug hatten wir sowieso schon im Gebäude – und höhenverstellbare Schreibtische in den Büros ebenfalls. Und für den Umbau einer Toilette bekamen wir Fördermittel. Alles andere, wie Headset, Joystick oder den Escape Chair für den Brandfall, hat Alexander Baum selbst beantragt und auch bewilligt bekommen.
Seit zwei Jahren ist er jetzt bei ihnen. Wie klappt es denn?
Natürlich ist er nicht so einsetzbar und belastbar, wie ein anderer Auszubildender, das ist klar. Ansonsten läuft es gut. Er hat ja immer einen Betreuer an seiner Seite, der ihn unterstützt, sei es, um ihn mit Getränken zu versorgen oder zur Toilette zu begleiten. Das ist alles organisiert, denn von uns könnte das keiner leisten. Neulich hatten wir allerdings einen Feueralarm. Trotz vorheriger Übungen haben wir gemerkt, dass wir im Ernstfall Herrn Baum schneller in den Escape Chair setzen und raustragen können müssen. Zum Glück war es nur ein Fehlalarm. Für uns jedoch eine gute Übung.
Hilfe für Arbeitgeber
So hilft die Agentur für Arbeit konkret
Ein elfköpfiges Team kümmert sich bei der Arbeitsagentur Hameln darum, junge und erwachsene Menschen mit Behinderung sowie deren potenzielle Arbeitgeber zu beraten. Sie prüfen, welche Leistungen erforderlich sind und gefördert werden können, und stimmen sie auf die jeweiligen Rahmenbedingungen ab. Bei den Stadtwerken Hameln wurden so die Kosten für den Umbau einer behindertengerechten Toilette übernommen. Außerdem sorgt die Arbeitsagentur für den Transport von Alexander Baum zum Ausbildungsbetrieb und finanziert seine Arbeitsassistenz über das Teilhabegesetz. Darüber hinaus wurde sein Arbeitsplatz behindertengerecht ausgestattet. Er bekam ein Bluetooth-Headset für Spracherkennung, die Spracherkennungssoftware Nuance Dragon sowie ein Standmikrofon, außerdem das Installationspaket Erweiterung Umfeldsteuerung, die Freischaltung Bildschirmtastatur plus die MagicDrive IR-Maus USB. Auch ein Escape Chair zur Rettung im Feuerfall wurde ihm zur Verfügung gestellt.
* Was bedeutet „Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen“?
Behinderte Menschen mit einem festgestellten Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30 können den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden und dadurch bestimmte Rechte erhalten. Gleichstellungen werden auf Antrag der Betroffenen von der Agentur für Arbeit ausgesprochen, die mit dem Arbeitgeber und der Schwerbehindertenvertretung spricht.
Beschäftigung von behinderten Mitarbeitern: Leitfaden für Arbeitgeber

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Gunthild Kupitz
Titelfoto: © Merethe Svarstad Eeg/EyeEm/Getty Images
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