„Es gibt viele Kompetenzen
außerhalb des Lehrplans“

Die Präsenz eines Betriebs in Schulen oder auf Ausbildungsmessen reicht nicht mehr, sagt Unternehmerin Angela Papenburg, und hat innovative Ideen für die Berufsorientierung.


27.07.2022 - Barbara Domschky -6 MinutenMitarbeiter finden

Zuletzt bearbeitet: 20.06.2023

Beton gießen, Live-Chat von der Baustelle, Förderung von Future Skills: Angela Papenburg ist Geschäftsführerin der GP Günter Papenburg AG in Halle (Saale) und Vorsitzende Wirtschaft im Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT. Im Interview mit Faktor A spricht sie über zeitgemäße Berufsorientierung und wie Unternehmen und Schulen dabei effektiver zusammenarbeiten können.

Frau Papenburg, als Unternehmerin und Vorsitzende Wirtschaft im Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT setzen Sie sich seit rund 15 Jahren für die Zusammenarbeit von Unternehmen und Schulen ein – warum ist das so wichtig?

Schüler:innen müssen früh den Bezug zur Praxis erhalten, damit sie Spaß am Lernen haben und den Nutzen erkennen. Das ist heute viel wichtiger als noch vor ein paar Jahren, denn mit der zunehmenden Digitalisierung sind analoge Prozesse im Arbeitsleben oft nicht mehr sichtbar. Als externer Partner von Schulen wollen wir vor allem die technische, ökonomische und digitale Bildung stärken, die für das spätere Berufsleben von enormer Bedeutung ist, aber in Schulen durch Lehrer- und Zeitmangel nicht ausreichend vermittelt wird.
Menschen müssen heute zunehmend unternehmerisch denken und ihr (Arbeits-)Umfeld managen. Als Führungskraft weiß man oft nicht mehr, was in den Alltag der Mitarbeitenden alles hineinspielt, welche Einflüsse sie von außen haben, wo sie ihre Informationen herbekommen. Selbstständiges, projektorientiertes Lernen mit wechselnden Rollen fördert die Future Skills, wird aber in vielen Schulen nicht intensiv verfolgt. Da findet noch viel Unterricht in festen Strukturen und mit wenig Bezug zur Berufspraxis statt.

Welche positiven Beispiele für Kooperationen kennen Sie, aus Ihrem eigenen, aber auch anderen Unternehmen des Netzwerks?

Es gibt viele tolle Beispiele! Das sehen wir immer wieder beim Wettbewerb „Das hat Potenzial!“, bei dem das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT Unternehmen und Schulen für ihr herausragendes Engagement an der Schnittstelle Schule/Beruf sowie innovative Lehr- und Lernmedien zur ökonomischen Bildung prämiert. Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT in unserer Region organisiert nun zum 13. Mal die Lehrerweiterbildung „Praxis erleben – Bildung gestalten“, bei der die Lehrer:innen in Partner-Unternehmen und -Vereine gehen, um dort Einblicke in den Arbeitsalltag zu bekommen und dieses Wissen dann in ihren Unterricht zu integrieren.

Seit 2007 arbeitet die GP Günter Papenburg AG beispielsweise eng mit der Gemeinschaftsschule Heinrich Heine in Halle (Saale) zusammen. Alle neuen Lehrer:innen des Kollegiums besuchen unser Unternehmen und lernen uns kennen, damit sie ihren Schüler:innen von unseren Berufsorientierungsangeboten und von der Vielfalt der Berufe in der Bauwirtschaft berichten können. So starten in jedem Ausbildungsjahr zwei bis drei Schüler:innen bei uns eine kaufmännische oder gewerblich-technische Ausbildung. Die tolle Zusammenarbeit in vielen weiteren Feldern wirkt sich auf den Schulalltag aus und hat einen motivierenden Effekt auf die Schülerschaft, wie uns immer wieder berichtet wird.

Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Angela Papenburg
© Falk Wenzel - Angela Papenburg

Ausbildung und die entsprechende Berufsorientierung sind unglaublich wichtig. Auf klassische Berufsmessen zu setzen, um junge Menschen zu erreichen und nur die eigenen Ausbildungsberufe vorzustellen, ist schon längst nicht mehr zeitgemäß. Was wir brauchen, ist mehr Schnelligkeit, Individualität und Flexibilität in der Berufsorientierung. Wir müssen auf Wünsche und Bedarfe eingehen – digital, vor Ort in der Schule und im Betrieb. Neue Ideen ausprobieren, auf Anlässe spontan reagieren und für aktuelle Themen Angebote „schneidern“ – so stelle ich mir praxisnahe Unterstützung von Schule vor. Kommunikationsmöglichkeiten und Plattformen sind heute so vielfältig, aber wir beschränken uns meistens auf Praktikum, Betriebsbesichtigung oder den Schulbesuch im Klassenzimmer.

Wie könnte so eine „zeitgemäße“ Berufsorientierung konkret aussehen?

Corona hat vieles in der Kommunikation verändert, was vorher nicht wirklich vorstellbar war. Ich habe eine Problemstellung oder Aufgabe in der Schule und hole mir schnelle Hilfe von außen auf digitalem Wege. Ein Beispiel: Wenn im Unterricht das Thema „schiefe Ebene“ ansteht, kann ich einen Ladevorgang filmen, das Video an den oder die Lehrer:in in der Schule senden. Das Wichtigste ist, dass ich heute weiß, wo ich etwas finde oder wer mir helfen kann. Dafür müssen Schulen flexibel agieren, und andererseits müssen wir Unternehmen auch Lust und Zeit zur Unterstützung aufbringen. Wenn wir Unternehmen nur unseren eigenen Mehrwert suchen, dann werden die Schulen die Öffnung des Unterrichts allein nicht stemmen können.

Schüler pflastern
© GP AG - Wie verlegt man eigentlich Pflastersteine? Sowohl in der Schule, als auch bei Betriebsführungen will man bei der Günter Papenburg AG vor allem Praxisnähe bieten.

Wie und wo können sich Unternehmen den Schüler:innen am besten präsentieren?

Bisher war es so: Wir als Unternehmen werden beispielsweise von Messeveranstaltern über Mailings angeschrieben, man sagt zu und hofft, dass wiederum der Veranstalter genügend Werbung macht und die vermeintliche Zielgruppe erreicht wird. Interessant wäre es aber, wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer auf einer Art „Matching-Plattform“ anfragt: „Ich suche zum Thema Genetik einen Partner, der beispielsweise mit Genforschung zu tun hat und meinen Schüler:innen das aus der Berufspraxis erklärt.“ Das Angebot eines außerschulischen Partners auf solche Anfragen kann eine PowerPoint, ein fertiger Film, eine Möglichkeit zum Live-Chat, ein Workshop, ein Online-Quiz, eine Betriebsbesichtigung oder was auch immer sein.

Wie sieht es aus Ihrer Sicht in der Ausbildung an den Berufsschulen aus?

Aus unserer Erfahrung reicht das rein fachliche Wissen, das Berufsschulen vermitteln, nicht mehr aus. Wichtige Kompetenzen für den Arbeitsmarkt wie Resilienz, Umgang mit Unsicherheiten und Risiken, Kreativität usw. müssen stärker gefördert werden, allerdings haben Schulen, auch Berufsschulen, dafür wenig Zeit und Methoden. Unsere Azubis haben beispielsweise Projektwochen, in denen sie selbstständig Projekte organisieren und durchführen. In 2015 und 2016 wurde in diesem Rahmen der interaktive „GP Job-Parcours“ für Schulen entwickelt, dessen Stationen unsere Azubis ausgearbeitet haben. Mit der Zeit kamen die zwei praktischen Wissensbausteine „Wirtschaft“ und „Physik“ hinzu, mit denen die Azubis Lehrplaninhalte und Einblicke in die Berufswelt mit viel Spaß in die Klassenräume bringen.
Bei diesen Projekten lernen unsere Auszubildenden wichtige Kompetenzen für die Zukunft, etwa auf Probleme spontan zu reagieren, sich strukturiert vorzubereiten oder Termine zu koordinieren. Es gibt so viele wichtige Kompetenzen außerhalb des fachlichen Lehrplans – diese vermitteln zu können, wird eine der Zukunftsaufgaben von Berufsschulen und Ausbildungsbetrieben sein.

Was raten Sie Unternehmen bei ihrer Suche nach geeignetem Nachwuchs?

Viel Praxis anbieten! Es gibt im Verlauf des Schuljahres so viele Events: Baumaschinen-Erlebnistag, Tag der Berufe, Girls’ Day, Lieblingstag usw. An solchen Tagen können junge Menschen bei uns ins Betonwerk „kriechen“, selbst Beton gießen, auf einem Bagger sitzen oder einfach mal einen Hammer in die Hand nehmen.
Ich finde es auch spannend, wenn Schüler*innen in unserer Werkstatt Dinge herstellen und die Arbeiten dann in der Schule fortgeführt werden. Ein letztes Beispiel aus der Praxis: Eine Gruppe der Junior-Ingenieur-Akademie erhielt per MS Teams einen theoretischen Input zum Thema „Beton“, stellte in der Schule Prüfwürfel aus unterschiedlichen Betonsorten her und kam in unser Baustofflabor, wo diese dann abgedrückt wurden, um damit die Festigkeit zu prüfen. Ein Thema, drei verschiedene Orte der Wissensvermittlung – so kann interaktive Berufsorientierung zwischen Schule und Unternehmen auch aussehen!

Hintergrund

SCHULEWIRTSCHAFT und das Berufswahl-SIEGEL

Im Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT arbeiten Schulen und Unternehmen partnerschaftlich zusammen, um jungen Menschen den Weg in die Arbeitswelt zu ebnen. Das Netzwerk baut sich aus fast 400 regionalen Netzwerken und Arbeitskreisen in allen Bundesländern auf. Träger sind auf Bundesebene die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), auf Landesebene Dachverbände und Bildungswerke der Arbeitgeber in Partnerschaft mit Ministerien.

Mit dem Berufswahl-SIEGEL zeichnet das Netzwerk Schulen mit einer herausragenden Berufs- und Studienorientierung aus und unterstützt sie durch kompetente Beratung dabei, ihre Bemühungen kontinuierlich zu verbessern.

schulewirtschaft.de


Titelfoto: © GP AG