
Zurück ins Arbeitsleben
Schwere Behinderung hält Rollstuhlfahrer nicht auf
Mit 24 Jahren hat Michael Lau einen schweren Unfall. Als er aus dem Koma erwacht, ist er gelähmt. Lau kämpft, schult um und bekommt einen Job bei VW.

Nach seinem Unfall konnte Michael Lau bei VW eine Umschulung machen.
Über meine Tante habe ich Kontakt zu einem Mann bekommen, der vor zwanzig Jahren dasselbe durchgemacht hat wie ich. Er ist Rollstuhlfahrer und hatte beim Berufsförderungswerk Bad Wildbad eine Umschulung zum Kaufmann gemacht. Ich habe mich darüber weiter informiert, dann dort eine Reha gemacht und 2013 selbst eine Umschulung in Bad Wildbad begonnen. Dazu war viel Eigeninitiative nötig. Die Rentenversicherung, die das letztlich finanziert hat, wollte mich zuerst verrenten. Aber mit 24 Jahren Rentner zu werden – das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Ich schaltete einen Anwalt ein, trotzdem zog sich die Entscheidung hin. Allein zwischen meiner Entlassung aus dem Krankenhaus und dem Beginn der Reha verging fast ein Jahr. Das war keine einfache Zeit.
Meine Wohnung im zweiten Stock musste ich aufgeben. Auch bei meinen Eltern konnte ich nicht wohnen, weil ihr Reihenhaus nicht behindertengerecht ist. Ich war dann ein Dreivierteljahr im Pflegeheim. Dort hatte ich Narrenfreiheit, es war egal, ob ich den ganzen Tag unterwegs war und erst um 1 Uhr nachts zurückkam, die Pflegerinnen haben mir ins Bett geholfen. Das Pflegeheim war nur zehn Minuten von meinem Elternhaus entfernt, deshalb war ich viel dort oder mit Freunden unterwegs. Ich habe mir ein Handbike gekauft, mit dem ich lange Touren unternehme, ich besuche Konzerte und habe eine Dauerkarte für den VfL Wolfsburg. Ich mache das, was jeder andere auch macht. Manchmal kriege ich auf Konzerten sogar bessere Plätze, und eine Begleitperson kann umsonst mitkommen.
Vollzeit bei Volkswagen
Inzwischen arbeite ich Vollzeit, 35 Stunden in der Woche. Ich bin in der Entgeltberechnung von VW tätig. Wenn ein Mitarbeiter Fragen zu seinem Lohn hat oder eine Bescheinigung ausgefüllt werden muss, wendet er sich an uns. Während meiner Umschulung hatte ich ein Praktikum in der Abteilung gemacht. Dabei habe ich einen so guten Eindruck hinterlassen, dass mein Abteilungsleiter mich gerne in seine Abteilung übernehmen möchte. Alles ist hier barrierefrei, es gibt Automatiktüren und eine Behindertentoilette. In meiner Abteilung sind etwa zwanzig Kollegen, in der gesamten Entgeltabteilung arbeiten etwa 100 – zusammen betreuen wir über 200.000 Mitarbeiter. Mit meiner Behinderung gehe ich offen um. Ich habe den Kollegen gleich am Anfang gesagt, dass ich keine Tabus kenne und sie mich alles fragen können.
Anfangs waren die Kollegen zu hilfsbereit. Wenn man fünfmal am Tag gefragt wird, ob man Hilfe braucht, ist das nett gemeint, aber anstrengend. Alles, was ich alleine schaffe, mache ich auch alleine. Die Maus am Bürocomputer bediene ich mit links, weil ich da noch Fingerfunktion habe. An der rechten Hand benutze ich eine Tipphilfe, weil meine Finger dort schlaff sind und keine Funktionen haben. Eine Plastikhalterung sorgt für Stabilität und ermöglicht es mir, auf der Tastatur zu tippen. Damit bin ich schneller als manche Kollegen, die mit zwei Fingern auf der Tastatur schreiben und die Buchstaben suchen müssen. Hilfe von Kollegen brauche ich nur beim Briefeeintüten. Das kriege ich feinmotorisch nicht hin. Sonst mache ich alles selbst. Ich sage den Leuten, dass ich schließlich nicht auf den Kopf gefallen bin – bis auf das eine Mal … Dieser schwarze Humor kommt bei meinen Kollegen gut an.
VW-Bus sorgt für Mobilität
Ich bin froh, dass ich durch meine Arbeit rauskomme und unter Menschen bin. Es ist schön, wenn man sein eigenes Geld verdient. Während meiner Umschulung habe ich einige Leute kennengelernt, die anschließend keinen Job gefunden haben, weil Arbeitgeber vor Umbauarbeiten zurückgescheut haben oder Sorge hatten vor Komplikationen oder Krankheiten. Es gab aber auch andere Fälle. Ein Mann, der zusammen mit mir in der Klinik lag, hat eine Ausbildung gemacht und arbeitet nun mit Mundsteuerung. Er ist noch ganz jung – gerade erst 25 Jahre alt geworden – und heilfroh über seine Teilzeitstelle.
Mit meiner Behinderung habe ich mich abgefunden. Was wirklich stört, ist, dass man nicht mehr so spontan und flexibel ist wie früher. Übernachtungen zu organisieren ist schwierig. Denn normalerweise hilft mir morgens ein Pflegedienst bei der Grundpflege, und auch abends beim Ausziehen benötige ich Hilfe. Aber durch mein eigenes Auto bin ich schon viel mobiler geworden. Es ist ein umgebauter VW-Bus mit Schiebetür. Mit der rechten Hand kann ich Gas geben und bremsen, mit links lenke ich und bediene die Funktionstasten. Noch wohne ich in einer behindertengerechten Wohnung zur Miete. Aber mein privates Ziel ist es, eine Familie zu gründen, ein Grundstück zu kaufen und ein Haus zu bauen – oder bauen zu lassen.
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Esther Werderinghaus
Titelfoto: © Kniel Synnatzschke/plainpicture
Lieber Michael,
Respekt vor Deiner Leistung, den Willen und Dein Durchhaltevermögen.
Gratulation zu Deinem Arbeitgeber, der in der Lage und willens ist optimale Lösungen mit zu tragen.
Ich hoffe, wenn ich mich (mal wieder ;-) ) vom Schicksal benachteiligt und verfolgt fühle, ich mich an Deine Situation erinnere über meine "Probleme" schmunzeln kann und anfange positiv zu denken.
Gruß
Dietmar