
Inklusion
Wenn Arbeitgeber Menschen mit Behinderung einstellen
Ein Bauunternehmen macht vor, wie Inklusion geht: Die Herzog-Bau GmbH aus Tüttleben in Thüringen hat drei schwerbehinderte Menschen eingestellt und ihnen so nach langer Zeit der Arbeitslosigkeit die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht. Ein Schritt, der im Betrieb zunächst auf Widerstand stieß – und von dem am Ende das ganze Unternehmen profitierte.

Armin Jordan
Unterstützung gab es dabei von der Agentur für Arbeit. Wie wurde Ihnen konkret geholfen?
Die Agentur für Arbeit und das Jobcenter haben uns von Tag eins an unterstützt. Etwa über Lehrgänge und die Zahlung eines Eingliederungszuschusses für die behinderten Mitarbeiter. Der gesamte Bewerbungsprozess wurde organisiert und betreut – und natürlich die nötigen Umbauten geplant und maßgeblich finanziert. Die Zusammenarbeit war einfach super, sehr flexibel und entgegenkommend. Ohne die finanzielle und auch organisatorische Hilfe der Agentur für Arbeit und des Jobcenters hätten wir das alles nicht geschafft.
Was hat die Einstellung der drei behinderten Mitarbeiter im Unternehmen bewirkt?
Sie hat unseren Horizont erweitert. Durch die neu gewonnene Vielfalt haben wir eine ganz neue Form der Bodenständigkeit im Betrieb erreicht. Wir konzentrieren uns noch mehr auf das Wesentliche, gehen menschlicher und respektvoller miteinander um. Unsere behinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind wahnsinnig motiviert. Es ist toll zu sehen, dass da für jemanden ein ganz neuer Lebensabschnitt beginnt. Dass sich Menschen, die lange ausgegrenzt wurden, wieder gebraucht und wertvoll fühlen. Klar: Wir brauchten Geduld, mussten hartnäckig sein und viel Verständnis haben. Aber wir haben diese Entscheidung nicht eine Sekunde bereut.
Ihr Appell an andere Arbeitgeber?
Tut es auch! Helft Menschen, macht sie glücklich. Es lohnt sich. Es müssen ja nicht wie bei uns gleich so schwere Behinderungen sein. Es gibt viele Arten von Behinderungen – jedes Unternehmen findet einen Weg, der zu ihm passt. Ich wollte beweisen, dass der Extremfall möglich ist. Wenn eine Baufirma drei Schwerbehinderte beschäftigen kann, dann müssen andere Betriebe es auch schaffen, Menschen mit Behinderung einzustellen – in welcher Form auch immer. Und man ist ja nicht allein: Die Agentur für Arbeit ist Partner, die hilft. Also: nicht so eine große Sache draus machen – und einfach loslegen!
Die Agentur für Arbeit
„Es liegt wahnsinnig viel Potenzial brach, das Arbeitgeber nutzen sollten“
Katja Friedrichs, Reha-Spezialistin imd Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit Gotha, berät seit sieben Jahren Arbeitgeber und unterstützt sie bei der Inklusion behinderter Mitarbeiter. Herzog-Bau war ihr bislang größtes Projekt, von dem sie sich erhofft, dass es eine Strahlkraft auch für andere Arbeitgeber hat.
Faktor A: Sie sind Reha-Spezialistin in der Agentur für Arbeit. Was machen Sie genau?
Katja Friedrichs: Ich berate Arbeitgeber zu allen Fragen, die sie rund um die Themen Behinderung und Inklusion haben: Welche Pflichten haben Arbeitgeber? Wie steht es um die Beschäftigungsquote? Welche Fördermöglichkeiten gibt es von der Agentur oder dem Jobcenter, wenn ich behinderte Arbeitnehmer einstellen möchte? Außerdem bin ich die Schnittstelle zwischen den Unternehmen und anderen Kostenträgern, wie beispielsweise der Rentenversicherung und dem Integrationsamt. Und ich stelle den Kontakt zu unseren technischen Beratern her, die sich mit dem behindertengerechten Umbau von Gebäuden auskennen.
Welche Fördermöglichkeiten gibt es für Arbeitgeber ganz konkret?
Wird ein neuer Arbeitsplatz für einen behinderten Menschen geschaffen oder ein Arbeitsplatz für einen Mitarbeiter erhalten, der plötzlich behindert ist, kann das Unternehmen zum Beispiel einen Zuschuss zum Gehalt erhalten. Die Höhe hängt vom Grad der Behinderung ab. Im Rahmen eines Reha-Verfahrens können auch technische Hilfsmittel und die behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes sowie Umbauten am Gebäude finanziert werden, es gibt Pkw-Förderungen und vieles mehr. Im Prinzip unterstützen wir alles, was die Arbeitsaufnahme erleichtert.
Auch eine Probebeschäftigung von bis zu drei Monaten im Vorfeld ist möglich. Sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer können so ohne Risiko testen, ob es miteinander funktioniert, oder ob man sich unter Umständen zu viel vorgenommen hat.
Wie bekommt man die Unterstützung?
In der Regel kommen die Arbeitgeber auf uns zu. Wir betrachten immer den Einzelfall und prüfen, welche Fördermöglichkeiten Sinn machen. Wir schauen, wer der zuständige Reha-Träger ist und wie wir das Projekt am besten angehen: Was sind die besonderen Herausforderungen, wer muss mit ins Boot? Ich hole mir dann gegebenenfalls Unterstützung der technischen Berater und Reha-Berater hier im Haus. Und wir sehen zu, dass wir geeignete Bewerber finden.

Katja Friedrichs
War Herzog-Bau ein besonderes Projekt?
Absolut. Ein Inklusionsprojekt in dieser Größenordnung, mit drei Einstellungen und so vielen Umbauten, das ist selten. Das Unternehmen wollte ursprünglich nur einen Arbeitsplatz für einen Schwerbehinderten schaffen. Als wir Herrn Jordan dann potenzielle Bewerber zur Auswahl präsentierten, zögerte er keine Sekunde und sagte: „Wissen Sie was? Ich nehme alle drei!“ Er hat gegen teils erhebliche Widerstände gekämpft und am Ende drei schwerbehinderten Langzeitarbeitslosen, die eigentlich keine Perspektive hatten, eine neue Chance gegeben. Das ist einfach toll. Dafür haben die Arbeitsagentur und das Jobcenter auch alles an Zuschüssen rausgeholt, was möglich war. Die Umbauten haben wir gemeinsam mit der technischen Beraterin und dem Unternehmen geplant. Theoretisch hätten die behinderten Mitarbeiter einfach im Erdgeschoss arbeiten können. Aber Herr Jordan hat uns klar signalisiert, dass er will, dass sie alle Etagen erreichen und sich voll zugehörig fühlen. So haben wir das dann auch gemeinsam umgesetzt.
Ist Herzog-Bau ein Vorbild für andere Arbeitgeber?
Ja. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Arbeitgeber dem Thema Inklusion öffnen. Es gibt eine gesetzliche Vorgabe, dass fünf Prozent der Mitarbeiter eines Unternehmens eine Behinderung haben müssen. Doch kaum ein Unternehmen erfüllt die. Viele zahlen lieber eine Ausgleichsabgabe, als einen behinderten Menschen einzustellen oder den Arbeitsplatz eines Mitarbeiters zu erhalten, der plötzlich unter einer Behinderung leidet. Da läuft einfach etwas verkehrt. Allein im Landkreis Gotha ist jeder zehnte Arbeitslose schwerbehindert. Es liegt wahnsinnig viel Potenzial brach, das Arbeitgeber nutzen sollten. Das sind hoch motivierte und in der Regel ausgesprochen loyale Arbeitnehmer. Und es muss ja nicht gleich ein Mammutprojekt wie bei Herzog-Bau sein. Es reichen kleine Schritte. Vielen Behinderten sieht und merkt man ihre Behinderung kaum oder gar nicht an. Meist reichen kleine Umbauten am Arbeitsplatz, um eine Eingliederung möglich zu machen. Deshalb sage ich allen Arbeitgebern: Trauen Sie sich, kommen Sie auf uns zu. Wir sind da und helfen.
NIcole Benke
Titelfoto: © Sturtl/iStock