
Ausbildungsinitiative Zukunftsstarter
Wenn Erwachsene wieder zu Azubis werden
Eine Ausbildung mit 35? Kein Problem. Die Arbeitsagentur reagiert mit Initiativen wie „Zukunftsstarter“ und „Teilzeitausbildung“ auf den steigenden Bedarf an Fachkräften. Wie Unternehmen von den lebenserfahrenen Bewerbern profitieren.
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© Philip Frowein Vanessa Trappani wurde nach ihrer Ausbildung zur Konditorin sogar Innungssiegerin.
Die Zukunftsstarterin
Vanessa Trapani, 26, Konditoreifachverkäuferin in Schwenningen
„Ich hatte die Hoffnung auf eine berufliche Karriere schon fast aufgegeben. Zu viele bürokratische und finanzielle Hürden standen mir als alleinerziehender Mutter im Weg. Doch plötzlich ergab sich die Möglichkeit, in Teilzeit Konditoreifachverkäuferin zu lernen. Damals arbeitete ich als Aushilfe in einem Café in Schwenningen und mein Chef setzte sich dafür ein, dass ich eine Ausbildung als Konditoreifachverkäuferin bei ihm beginnen kann und Unterstützung von der Bundesagentur erhalte. Mein Chef hatte viel Vertrauen in mich. Das hat mich so angespornt, dass ich nach meiner zweijährigen Ausbildung Innungssiegerin geworden bin: Für die Abschlussprüfung habe ich eine englische Teezeit im Schaufenster meiner Konditorei nachgestellt. Ich war die Beste im Präsentieren und Verkaufen. Darauf bin ich stolz. Und wer weiß, vielleicht werde ich in ganz ferner Zukunft mal mein eigenes Café haben.“
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© Philip Frowein Als die Kitakosten für Trapanis Tochter stiegen, half Frank Siger erst mal aus, bis eine Lösung gefunden war.
Der Chef
Frank Singer, Konditormeister
„Mir war schnell klar, dass Vanessa eine Ausbildung auch durchziehen würde. Eines Tages kam sie in Tränen aufgelöst zur Arbeit und sagte, dass sie ihren Job kündigen müsse, weil sie ihren Kitaplatz nicht mehr bezahlen kann. Ich rief in der Kita an und zahlte erst mal einen Teil der Kosten. Dann kommunizierte ich mit dem Jobcenter über die Möglichkeiten, in einer erwachsenengerecht verkürzten, betrieblichen Umschulung den Berufsabschluss der Konditoreifachverkäuferin zu erwerben. Es ging! Das Jobcenter erstattete die Fahrkosten zur Berufsschule, gab einen monatlichen Zuschuss zu den Kinderbetreuungskosten und wir ermöglichten ihr als Betrieb Arbeitszeiten, die sich mit der Betreuung ihres Kindes vereinbaren ließen. Es hat sich gelohnt.“
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© Willing Holtz Fabian Rupp (r.) und sein Ausbilder Bernd Meyer
Der Zukunftsstarter
Fabian Rupp, Orthopädieschuhtechniker, 35, aus Deutsch Evern
„Eigentlich bin ich gelernter Zimmermann, aber ich entschied mich später für eine Umschulung. Ich kenne den Orthopädieschuhladen seit meiner Kindheit und hatte schon vorher Einblicke in den Beruf. Und, ja: Das war ein absoluter Neustart. Ich war bereits 33 Jahre alt, als ich wieder die Schulbank drücken musste. Das war nicht leicht, denn auch Fächer wie Latein und Anatomie standen auf dem Stundenplan. Aber durch das Zukunftsstarter-Projekt war alles leichter. Einerseits erhielt ich eine Umschulungsvergütung von meinem Arbeitgeber. Die Arbeitsagentur bezuschusste das dann noch mit Arbeitslosengeld bei Weiterbildung und übernahm unter anderem die Kosten für die Berufsschule. Auch wenn es eher Zufall war, dass ich eine zweite Ausbildung begonnen habe: Das war eine große Chance! Denn ich arbeite jetzt in einem besseren Beruf. Ich bin nicht mehr dem Feinstaub und den giftigen Stoffen ausgesetzt. Und ich habe endlich mehr mit Menschen zu tun.“
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Der Ausbilder
Orthopädieschuhmacher Bernd Meyer
Rupps Vorgesetzter Bernd Meyer „Fabian ist ein Glückfall für uns, denn einerseits kennen wir ihn und vertrauen ihm. Andererseits ist der Beruf des Orthopädieschuhmachers bei jungen Leuten weitgehend unbekannt. Wir bekommen eher weniger Bewerbungen. Es war gut für uns, dass Fabian Lust auf die Aufgabe hatte. Er hat schnell erkannt, wie spannend der Beruf sein kann und dass er weit mehr beinhaltet, als nur Schuhe anzupassen. Man muss ein bisschen über den Menschen erfahren, um über eine passende Einlage zu entscheiden. Außerdem ist Fabian durch seine Berufserfahrung Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und Disziplin gewohnt.“
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Die Zukunftsstarterin
Christiane Sonnenberg, 39, Hauswirtschaftlerin in Schwenningen
© Philip Frowein Ulrike Pöhnlein (r.) schätzt an ihrer Auszubildenden Christiane Sonnenberg, dass sie Biss hat und kontaktfreudig ist.
„Manchmal ist man im Leben hinterher schlauer. Das gilt zum Beispiel für meinen ersten Versuch, eine Ausbildung zu machen. Speditionskauffrau ist zwar ein schöner Beruf, aber die Arbeitszeiten im Betrieb ließen sich einfach nicht mit meinen Pflichten als Mutter eines kleinen Kindes vereinbaren. Als Hauswirtschafterin im Seniorenzentrum bin ich jetzt viel flexibler und ich weiß mein Kind gut betreut. Mir gefällt auch das Arbeitsklima hier sehr gut. Der Wechsel war die richtige Entscheidung – hinterher ist man eben immer ein bisschen schlauer.“
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Die Vorgesetzte
Ulrike Pöhnlein, Hauswirtschaftsleiterin
„Für uns ist es ein Glück, dass wir Frau Sonnenberg haben. Sie war von Anfang an sehr offen, hat von ihrem Leben erzählt und davon, was ihr besonders wichtig ist: ihre kleine Familie. Mich beeindruckt, wenn eine Mutter die Verantwortung für ihr Kind sehr ernst nimmt – das beweist Weitblick und Reife. Frau Sonnenberg geht auf Menschen zu, kommt schnell in Kontakt und sie hat Biss – das kann ich nicht von allen Azubis sagen.“
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© Privat Sabine Erdmann fand über Umwege die richtige Ausbildung
Die Zukunftsstarterin
Sabine Erdmann, 33, Kauffrau für Bürokommunikation in Villingen-Schwenningen
„Früher wollte ich Innenarchitektin werden, heute bin ich etwas ganz anderes geworden – aber total glücklich damit. Mein Weg bis dahin war holprig: Ich fing eine Ausbildung als Bürokauffrau im Krankenhaus an. Doch das war absolut nicht mein Ding. Ich bewarb mich bei Firmen initiativ, nichts kam. Dann hörte ich von der Teilzeitausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation bei der Stadtverwaltung. Das klappte und das war wirklich abwechslungsreich: Der Umgang mit Bürgern und anderen Ämtern machte so viel Spaß! Alle vier Monate war ich auf einem anderen Amt und durchlief verschiedene Stationen. Mit der Ausbildung konnte ich Familie und Beruf unter einen Hut bekommen – und habe jetzt eine Festanstellung.“
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Esther Werderinghaus
Titelfoto: © Philip Frowein
Die Beispiele sind positiv zu bewerten da hat wohl einmal ein oder eine Mitarbeiterin der Agentur für Arbeit in der Region sich wirklich Gedanken zur beruflichen Integration gemacht. Leider sind diese Beispiele für viele Agenturen für Arbeit nicht feststellbar. Unter anderem auch in meiner Region in Hessen, Landkreis Limburg a.d.Lahn