Älter werden im Betrieb – so geht’s!

Acht Tipps für Unternehmen, wie sie gute Mitarbeiter möglichst lange gesund und leistungsfähig halten und sie langfristig an den Betrieb binden.


02.10.2019 - Annette Vorpahl -9 MinutenMitarbeiter qualifizieren

Gute Mitarbeiter möglichst lange gesund und leistungsfähig halten und sie langfristig an das Unternehmen binden – eine mögliche Strategie, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Was können Betriebe dafür tun?

Altersgemischte Teams, weniger Lärm und Staub, rückenschonende Tätigkeiten, flexible Arbeitszeiten: Es gibt viele Möglichkeiten, (nicht nur) ältere Arbeitnehmer in kleinen und größeren Betrieben lange fit und motiviert zu halten – wenngleich nicht jeder aufgrund der Tätigkeit bis ins hohe Alter volle Leistung bringen kann. Heute weiß man, dass ältere Arbeitnehmer nicht zwangsläufig weniger leistungsfähig und belastbar sind. Die Arbeitsfähigkeit hängt stärker von aktuellen und vergangenen Arbeitsbelastungen und Lernmöglichkeiten ab als vom kalendarischen Alter. Faktor A gibt Tipps, was Unternehmer für ihre Beschäftigten tun können – und wie sie ihrem Betrieb damit langfristig das Überleben sichern.

1. Die lebenszyklusorientierte Personalpolitik

In unserem Betrieb gucken wir auf alle Beschäftigten – vom Eintritt ins Unternehmen bis zum Ausscheiden.

Der ganz große Wurf zum Thema Altern beginnt lange vor dem „Alter“. Unternehmen, die ganzheitlich auf alle Lebensphasen blicken, berücksichtigen Ausbildung, Weiterbildung, Gesundheit und Familie über den gesamten Lebensverlauf hinweg. Sie orientieren ihre betriebliche Personalpolitik am Lebenszyklus und setzen mit personalpolitischen Maßnahmen in allen Phasen an, um die Potenziale der Beschäftigten zu erschließen. Konkret versprechen sich Arbeitgeber davon:

  • produktive und motivierte Mitarbeiter konstant über die unterschiedlichen Lebensphasen,
  • langfristig altersdurchmischte Teams – trotz alternder Belegschaft,
  • Abnahme krankheitsbedingter Fehlzeiten und Anpassung der Arbeitsbedingungen auf Leistungseinschränkungen,
  • geringeren Rekrutierungsaufwand trotz Fachkräftemangel,
  • Gewährleistung der Innovationsfähigkeit und Know-how-Sicherung,
  • Ausschöpfung des schrumpfenden Erwerbspersonenpotenzials – aktives Nutzen der Beschäftigungspotenziale von Frauen und Älteren.

Möglichkeit: Konzept für eine lebenszyklusorientierte Personalpolitik entwickeln

2. Personalstruktur kennen

Ich wollte wissen, wie wir in Zukunft personell aufgestellt sind, wenn ich keine besonderen Maßnahmen ergreife. Ich muss zugeben, es war ein Schock zu sehen, dass uns schon in fünf bis sechs Jahren einige wichtige Schlüsselpersonen verlassen werden und noch keine Nachfolger in Sicht sind.

Ein typischer Aha-Effekt: wenn Unternehmen erstmals mit einer Altersstrukturanalyse und möglichst auch einer zusätzlich durchgeführten Qualifikationsanalyse herausfinden, wo ihre Personalrisiken liegen. Dann kommen unter anderem Rekrutierungsprobleme, der Verlust von Erfahrungswissen und dadurch mögliche Qualitätseinbußen ans Tageslicht. Eine Analyse der Personalstruktur schärft den Blick für die wichtigen Positionen im Betrieb, für Fachleute, Spezialisten und erfahrene, gut qualifizierte Kolleginnen und Kollegen, die nicht so leicht zu ersetzen sind.

Möglichkeiten: Altersstrukturanalyse, Qualifikationsanalyse

3. Sensibilisierung der Führungskräfte und Beschäftigten

Bei uns herrscht ein rauer Umgangston – Handwerk eben. Da fallen quer durch die Bank auch schon mal Sprüche zum Thema Alter.

Gute Chefs können ihre Mitarbeiter zu Höchstleistungen motivieren und deren Arbeitszufriedenheit enorm steigern, wohingegen ungeeignete Führungskräfte sogar die besten Mitarbeiter in die innere Kündigung treiben. Immer wieder kommt es vor, dass Mitarbeiter bei Kündigungen nicht ihr Unternehmen verlassen, sondern ihre Führungskraft. Um als Unternehmer und Vorgesetzter erfolgreich zu sein, sind einerseits Kompetenzen wie Empathie, Überzeugungskraft, Fairness, Fähigkeit zur Selbstkritik, Glaubwürdigkeit, Entscheidungsstärke und Vertrauen in die Mitarbeiter notwendig. Andererseits hilft Aufklärung zum Thema Altern. Für alle Beschäftigten gilt: Wertschätzung steigert die Lernbereitschaft – und die Leistungsfähigkeit.

Um das Wissen und die Kompetenz älterer Mitarbeitender betriebsförderlich zu nutzen, benötigen die Beschäftigten neben einer wohlwollenden Unterstützung durch ihre Führungskräfte vor allem Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume. Wenn Mitarbeiter wahrnehmen, dass sie die Arbeitsaufgaben und Arbeitsprozesse in Abstimmung mit ihrem Team und dem Vorgesetzten selbst gestalten und über bestimmte Dinge selbst entscheiden können, sind sie motiviert, gute Ideen einzubringen.

Möglichkeiten: Feedback-Gespräche (der inneren Kündigung vorbeugen, das Betriebsklima verbessern), Partizipation (Teilhabe, Einbindung), Seminare für Führungskräfte und Beschäftigte zum Thema Konfliktmanagement, Kulturwandel, Gesprächsführung, Feedback, Altern und Alternsmanagement, Einzelcoaching

4. Arbeitszeit

Die älteren Mitarbeiter beschweren sich, dass sie keine 40-Stunden-Woche mehr durchhalten. Auf Geld verzichten wollen sie aber auch nicht. Und meine Kunden verlangen mehr Flexibilität und eine bessere Erreichbarkeit frühmorgens und spätabends.

In vielen Unternehmen gelten Arbeitszeiten als unantastbar. Dabei könnten Firmenlenker zum Beispiel überlegen, die Beschäftigungszeiten von den Betriebszeiten zu entkoppeln und generell flexible Arbeitszeiten einzuführen. Damit könnten sie für ihre Kunden längere Servicezeiten ganz nach Bedarf anbieten. Die Beschäftigten hätten die Möglichkeit, ihre familiären und beruflichen Zeiterfordernisse besser zu koordinieren. Und variable Ausstiegsmodelle, die es ermöglichen, allmählich aus dem Arbeitsleben auszugleiten, könnten gleich mit angedacht werden (siehe auch Punkt 8). In der Tat schaffen gerade bewegliche Arbeitszeitmodelle, aber auch ein vom Betrieb unabhängiger Arbeitsplatz wie Telearbeit eine Win-win-Situation: Das Unternehmen spart Kosten, weil es keine Leerzeiten oder Mehrarbeitszuschläge mehr zahlt. Die Mitarbeitenden verfügen souveräner über ihre Zeit und gestalten ihre Arbeitszeiten mit. Das motiviert und gibt weniger Vereinbarkeitsstress.

Möglichkeiten: Gleitzeit ohne Kernarbeitszeit, Teilzeit, Arbeitszeitkonten, Auszeiten, Telearbeit, flexible Pausenzeiten, alternsgerechte Schichtplanung, mobiles Arbeiten, Jobsharing, Zusatzurlaub

5. Gesundheitsschutz: Analyse des Arbeitsplatzes, der Arbeitsmittel und Arbeitsprozesse

Ein von mir sehr geschätzter älterer Kollege konnte aufgrund körperlicher Probleme nicht mehr in der Werkstatt arbeiten. Ich habe ihm einen Job im Service angeboten. Er hat ein gutes Gespür für den Bedarf bei den Kunden.

Vielen Geschäftsführern dürfte angst und bange werden, wenn sie sich vorstellen, wie lange einige der älteren Beschäftigten mit Rückenproblemen, psychischen Erkrankungen oder Herzinfarkten künftig ausfallen könnten. Sie befürchten nicht nur, dass die krankheitsbedingten Kosten enorm zu Buche schlagen, sondern fragen sich auch, wer für diese erfahrenen Leute die Arbeit erledigen wird. Wie lässt sich verhindern, dass durch den Ausfall einer wichtigen Person die komplette Produktion stillsteht oder Teilbereiche der Firma nicht arbeitsfähig sind? Wie sehr nutzen Unternehmer heute schon gesundheitsförderliche Möglichkeiten, damit eine alternde Belegschaft in fünf oder zehn Jahren möglichst gesund ist und weniger lange Fehlzeiten hat?

Gesundheitsmanagement beinhaltet weit mehr als nur den Abbau von Gesundheitsgefahren wie Lärm, Staub, Hitze, Kälte, Zugluft, Schadstoffe, ergonomisch bedingte Belastungen beim Heben oder Tragen von Lasten, Zeitdruck oder Überforderung. Der Blick geht darüber hinaus: Wie empfinden die Beschäftigten das Arbeitsklima? Identifizieren sie sich mit ihren Aufgaben? Werden ihre Leistungen anerkannt? Werden sie von Vorgesetzten und Kollegen unterstützt? Mit einem wertschätzenden, motivierenden Führungsstil und der Förderung der Potenziale jedes Einzelnen tragen Führungskräfte wesentlich zur Gesundheit ihrer Mitarbeiter bei.

Möglichkeiten: Einsatz des Work Ability Index WAI  (ein Fragebogen zur Ermittlung von Belastungsschwerpunkten, den Mitarbeitende selbst oder mithilfe eines externen Beraters oder des Betriebsarztes ausfüllen), Förderung von Teamarbeit, Vertretungsregelungen, Anpassung der Arbeitsinhalte an reduzierte Arbeitszeiten, Job Enrichment, Job Enlargement, Job-Rotation, Unterstützung durch die gesetzlichen Krankenkassen oder Berufsgenossenschaften, steuerliche Anreize von Gesundheitsmaßnahmen, Stressmanagement, Gesundheitszirkel, in denen eine Kleingruppe von Mitarbeitenden Lösungen für eine gesundheitsförderliche Arbeitssituation entwickelt, Führungskräfte-Trainings zur besseren Wahrnehmung von Überlastsituationen, Förderung von Bewegung, Gesundheit und Entspannung, Gesundheitslotsen

6. Weiterbildung

Erstens wollen bei uns viele Mitarbeiter gar nicht so häufig zu Schulungen gehen und an Trainings teilnehmen, vor allem die Älteren wollen oft gar nicht mehr. Zweitens kostet das alles ja viel Geld, und drittens fehlen mir die Leute im Tagesgeschäft.

Die Mitarbeiter altersunabhängig und regelmäßig auf dem neuesten Stand zu halten, ist Aufgabe des Unternehmens und in Zeiten des digitalen Wandels unabdingbar. Der rapide voranschreitende technologische Wandel verändert nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Arbeitswelt – und stellt Unternehmen und ihre Beschäftigten vor immer neue Herausforderungen. Ob mittelständisches Handwerksunternehmen oder Versicherungsgesellschaft, ob kleiner Betrieb oder Konzern – der digitale Wandel betrifft alle Unternehmen und ist unabhängig von Branche oder Betriebsgröße. Doch gibt es auch eine Bringschuld: Wer sich der Weiterbildung verweigert, hält den Wandel nicht auf und setzt sich damit selbst ins Aus.

Ist bekannt, was Ihre Beschäftigten wissen und können? Ist klar, welches Fachwissen, welche Sozialkompetenzen und methodischen Kenntnisse sie an den jeweiligen Arbeitsstellen benötigen? Wann sind Ältere zuletzt in der Weiterbildung berücksichtigt worden? So mancher traut sich das Lernen nicht mehr zu, besonders wenn die letzte Schulung Jahre zurückliegt. Ältere lernen insgesamt nicht schlechter als Jüngere, jedoch anders. Um ein optimales Lernen zu gewährleisten, benötigen ältere und vor allem lernentwöhnte Beschäftigte bestimmte Formate von Lernmaterial sowie von Lern- und Weiterbildungskursen. Auch das selbst gesteuerte Lernen Älterer benötigt optimale Randbedingungen.

Möglichkeiten: Förderung des lebenslangen Lernens u. a. durch Job-Rotation, altersgemischte Tandems, Mentoring, Weiterbildungsbörsen (vom Wissen der Kolleginnen und Kollegen profitieren), Mitarbeitergespräche, interne Workshops, die oft günstiger und auf den jeweiligen betrieblichen Bedarf zugeschnitten sind

7. Wissen erhalten

Vor ein paar Wochen bekam ich mit, wie der neue Vertriebsleiter seine Vorgängerin anrief, die letztes Jahr in Rente gegangen ist. Der Vertriebsleiter hatte ein ernsthaftes Problem, das nur sie lösen konnte.

Häufig hört man in KMU, dass bereits „viel Wissen in Rente gegangen ist“. Erfahrungswissen ist eine unverzichtbare, erfolgskritische Ressource für jedes Unternehmen. Beschäftigte, die mehrere Jahrzehnte für ein Unternehmen gearbeitet haben, kennen fast alle unternehmensrelevanten Geschäftsprozesse, interne und externe Kunden, mögliche Fehlerquellen und Chancen der Qualitätsverbesserung.
Dieses Wissen sollte so weit wie möglich im Unternehmen verbleiben, wenn die Älteren in Rente gehen. Dabei bietet das Wissensmanagement vielfältige Möglichkeiten, wesentliche Informationen und Kenntnisse im Betrieb zu halten. Beispielsweise lassen sich Kollegen und Kolleginnen ein Jahr vor ihrem Ausscheiden als Mentor für den Nachfolger einsetzen. Der Mentor unterstützt als Ratgeber, Türöffner und Netzwerkbauer die persönliche und fachliche Weiterentwicklung des Mentees. Dieser dokumentiert das vorhandene Wissen, und auch andere profitieren davon. Das Teilen von Wissen funktioniert, wenn in der Firma eine Kultur des Vertrauens herrscht und diese Einstellung von den Chefs vorgelebt wird.

Möglichkeiten: erweiterte Telefonlisten der Mitarbeitenden, auf der die Ansprechpartner für bestimmte Vorgänge und Themen aufgeführt sind, interne Arbeitskreise zu verschiedenen Themen wie Ideenmanagement, Neukundenakquise und Schnittstellenproblematik in der Wertschöpfungskette, Wissenstandems, Nachfolgeplanung, Wissenslandkarten

8. Übergang in die Rente

Bei uns scheiden im kommenden Jahr vier Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus. Zwei von ihnen haben mich angesprochen und gebeten, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, eine Person möchte über die Rente hinaus arbeiten.

So mancher möchte vor Beginn des Ruhestands nochmals richtig durchstarten, andere planen bereits den allmählichen Ausstieg. Die Mitarbeiter brauchen Perspektiven, wie sie sich bis zum Renteneintritt entwickeln können. Durch regelmäßige Gespräche, die mit Beschäftigten ab einem bestimmten Alter geführt werden, können nicht nur deren Wünsche und Pläne für den Übergang in den Ruhestand ermittelt, sondern auch die Beschäftigungsfähigkeit gefördert werden. Darüber hinaus erhält das Unternehmen genauere Planungsdaten für die Nachfolge und den Wissenstransfer. Inhalt eines Austritts- oder Zukunftsgesprächs sind mögliche Arbeits- und Entwicklungsperspektiven für die letzten Berufsjahre.
Bogenkarrieren bieten sich für Fach- und Führungskräfte an, die einen Teil der Verantwortung abgeben oder ihre Arbeitszeit langsam reduzieren wollen. Mit der Möglichkeit von Sozialberatungen helfen Betriebe den Mitarbeitern, ihre Erwerbsbiografie positiv abzuschließen oder so weiterzuentwickeln, dass sie ihre Kompetenzen und Erfahrungen ehrenamtlich oder vielleicht sogar beruflich weiter einsetzen können.

Möglichkeiten: Austritts- oder Zukunftsgespräche, Seminare zur Ruhestandsgestaltung, Sozialberatung, ausscheidende Mitarbeiter für eine projektbezogene Teilzeittätigkeit als Rentner, für die Aufnahme in das Ehemaligen-Netzwerk interessieren, als Moderatoren von innerbetrieblichen Arbeitskreisen gewinnen, Einladung von Ruheständlern zu Feiern und besonderen Anlässen, Enttabuisierung des Themas „Pflege“ mit Beratungen für Beschäftigte, Kompetenzseminare für Pflegende ggf. in Kooperation mit anderen Arbeitgebern

 


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