Jutta Rump über die Arbeitswelt von morgen

In Zeiten der Digitalisierung verändern sich Berufsbilder, Wettbewerber und Geschäftsmodelle. „Employability-Management“ lautet darum das Gebot der Stunde. Jutta Rump erklärt im Interview, was das für Arbeitgeber bedeutet.


21.03.2018 - Annette Vorpahl -10 MinutenMitarbeiter qualifizieren

„Was jemand heute gelernt hat, wird nicht für die nächsten 50 Jahre halten", sagt Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen. In Zeiten der Digitalisierung ergeben sich neue Berufsbilder, Wettbewerber und Geschäftsmodelle – und viele Fragen bei Unternehmern, die die Expertin exklusiv für Faktor-A-Leser beantwortet hat.

Es wird automatisiert, was sich automatisieren lässt: Maschinen, Methoden, Prozesse, Büros, Fabriken, Lagerhallen. Berufsbilder verändern sich rasant, an der Schnittstelle von Mensch und Maschine entstehen neue Berufe, andere verschwinden ganz. Befristete Beschäftigung, Teilzeit, Leiharbeit, Selbstständigkeit und vieles mehr drohen das bisherige Normalarbeitsverhältnis zu verdrängen. Immer neue Wettbewerber und Geschäftsmodelle kommen auf den Markt. In dieser Welt des Wandels wird der Arbeitnehmer selbst zur einzigen Konstante und zum Garanten für Beschäftigungsfähigkeit – sowohl für seine eigene als auch für die des Unternehmens. Will er in der neuen Arbeitswelt mitspielen, muss er einerseits selbst für seine Arbeitsmarktfitness sorgen, andererseits sind Betriebe, die Beschäftigungsfähigkeit fordern, in der Verantwortung, diese zu fördern.

Faktor A: Um in der digitalen Arbeitswelt klarzukommen, genügt es längst nicht mehr, dass Beschäftigte fachlich gut ausgebildet sind. Es braucht sogenannte überfachliche Kompetenzen. Welche sind das?

Prof. Dr. Jutta Rump: Das sind Lernbereitschaft und -fähigkeit, Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit, die Fähigkeit, mit Schnelligkeit und Komplexität umgehen zu können und mit einer Fülle von Daten. Es bedeutet aber auch, Entscheidungen zu treffen, wenn sich alles rasend schnell verändert – und das nicht nur als Führungskraft. Man braucht aber auch Revidierbarkeitskompetenz. Wenn man merkt, das war jetzt nicht die beste Entscheidung, muss man neu prüfen und beschließen. Das A und O ist das Selbstmanagement: sich klarmachen, dass man in einer Welt von Arbeiten 4.0 zum Unternehmer in eigener Sache wird. Der Arbeitnehmer mit seiner Beschäftigungsfähigkeit ist ein Vermögenswert, das ist sein Sicherungsanker. Damit das auch langfristig funktioniert, muss er daran arbeiten und sich selbst managen. Dazu gehört ein großes Maß an Eigenverantwortlichkeit.

Sind das nicht alte Hüte? Wieso sind diese gerade jetzt so entscheidend?

Portrait Jutta Rump
© Institut für Beschäftigung und Employability - Jutta Rump

4.0 steht für Dynamik, steigende Veränderungsgeschwindigkeit, Komplexitätszuwachs, Vernetzung untereinander. Um sich da zurechtzufinden, braucht es mehr als nur fachliches Wissen. Das ist Nummer eins. Zweitens ist zu überlegen: Welche Jobs und Tätigkeiten sind denn sicher? Und an welcher Stelle werden Kollege Roboter und Kollege Algorithmus die Arbeit tun? Sicher sind Jobs, die stark vernetzt sind, also wo Wissensarbeiter ihr Know-how mit dem von anderen Spezialisten verbinden, Regeln brechen und so neues Wissen erzeugen. Es sind immer Aufgaben, in denen es vor allem auf die überfachlichen Kompetenzen ankommt. Um sich beschäftigungsfähig und arbeitsmarktfähig zu halten, muss man in diese Kompetenzen investieren. 

Das wichtigste Ausbildungsfach heißt demnach Selbstständigkeit und Eigenverantwortung?

Ja, es heißt vor allem Mitdenken! Verantwortung übernehmen. Sich klarmachen, dass die einmal abgeschlossene Berufsausbildung nicht ein Leben lang hält. Die Sicherheit eines Arbeitsplatzes gibt es nicht mehr, und die Gewissheit eines Beschäftigungsverhältnisses? Ich bin nicht sicher. Viele Menschen machen sich permanent darüber Gedanken, ob das Auto in einem perfekten Zustand ist. Bringen sich die Leute eigentlich auch regelmäßig selbst zur Inspektion?

Welchen Unterschied machen die Branche und die Hierarchie?

Es gibt keinen Unterschied in den überfachlichen Kompetenzen. Egal ob jemand in der Produktion, im Handel oder in der Gesundheitswirtschaft tätig ist, ob als Führungskraft oder nicht: Es ist eine grundlegende Haltung, eine Einstellungssache.

Wovon genau sprechen wir, wenn wir von Beschäftigungsfähigkeit, Employability, reden?

Beschäftigungsfähigkeit hat drei Elemente: 1. Qualifikation und Kompetenzen: was eine Stelle jetzt und in Zukunft vom Arbeitnehmer verlangt. 2. Motivation: Am besten sollte ein Mensch, der employable ist, auch einen inneren Antrieb haben für das, was er tut – so was wie Identifikation. 3. Gesundheit: Die Förderung von Employability hat einen Bezug zur präventiven Gesundheitsförderung. Neben dem körperlichen Wohlbefinden stehen der Umgang mit mentalen Belastungen und der Abbau von negativen Stresssituationen im Blickpunkt.

Zitat:

„Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass jemand glaubt, dass das, was er gelernt hat, für die nächsten 50 Jahre hält."

Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability

Was denken Sie, wie tief ist die Erkenntnis im Bewusstsein von Unternehmen und Mitarbeitenden gereift, ihre Beschäftigungsfähigkeit zu sichern?

Wenn ich die letzten 15 Jahre Revue passieren lasse, ist diese Erkenntnis deutlich gereifter als früher. Bei den Großkonzernen taucht das Thema Employability mittlerweile überall auf. Selbst in Betriebsvereinbarungen ist das schon manifestiert. Auch bei Mitarbeitern ist es angekommen. Vielleicht nutzen sie eher den Begriff der Arbeitsfähigkeit. Vielen ist klar, dass sie an diesem Wert beständig arbeiten müssen. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass jemand glaubt, dass das, was er gelernt hat, für die nächsten 50 Jahre hält.

Und wie sieht das in kleinen und mittelständischen Unternehmen aus?

Gerade KMU, die im Wettbewerb miteinander stehen, haben das Thema Fachkräftemangel und attraktiver Arbeitgeber entdeckt und wissen ganz genau, dass sie nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie Leute haben, die die beste Leistung bringen. Sie wissen, dass sie in diese Leute investieren müssen, nicht nur im Sinne von Kompetenzen, sondern auch in Gesundheit und Motivation, damit die von innen brennen. Die Realität hat gerade KMU mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Kraft auf das Thema gebracht.

Welches wären erste Schritte eines Unternehmens hin zur Entwicklung einer Employability-Kultur?

Unternehmer müssen sich fragen, wo sie mit ihrem Betrieb in fünf Jahren stehen. Was ist die Vision? Wie ist der Stand heute, und wie lassen sich Lücken schließen? Das kann ein Einzelunternehmer genauso machen wie der Handwerksmeister mit zehn Leuten, genauso wie ein mittelständisches Unternehmen mit 50 Leuten oder der produzierende Bereich mit 200 Leuten. Wir wissen, dass sich unglaublich viel bewegt. Wir haben relativ verlässliche Informationen, wohin es sich entwickelt, und die Frage, was das für den eigenen Betrieb bedeutet, muss man sich ernsthaft stellen. Sonst wird man nur reagieren, nur hinterherhechten.

Was genau beinhaltet Employability-Management?

Es braucht ein Unternehmenskonzept, Einzelaktivitäten sind hier nicht ausreichend. Firmen müssen alle relevanten Unternehmensfelder einbeziehen, die Aktivitäten zur Steigerung der Employability aufeinander abstimmen, miteinander verknüpfen und Wechselwirkungen berücksichtigen. Konkret betrifft das die Unternehmenskultur, Personalentwicklung, Vergütung, Führung, Gesundheitsmanagement, Arbeitsorganisation, Werdegänge und Controlling.

Zitat:

„Was macht den Wert von Unternehmen in einer Wissens- und Innovationsgesellschaft aus? Nicht die Maschine und nicht das Bankkonto, sondern der Mitarbeiter."

Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability 

Welchen Vorteil haben Arbeitnehmer, welchen Unternehmen? 

Der Gewinn für den Arbeitnehmer liegt in der Beschäftigungssicherung. Zugleich gibt es ihm eine gewisse Beweglichkeit auf dem Arbeitsmarkt. Wenn er nämlich feststellt, dass es im angestammten Arbeitsumfeld enger wird, kann er sich in anderen Bereichen schneller zurechtfinden. Er ist vielleicht zunächst geschockt über diese Entwicklung, dann aber auch schneller wieder sortiert. Das ist ein ganz erheblicher Vorteil. Drittens: Er zeigt mehr Selbstbewusstsein. Wer das hat, weist ein hohes Maß an Gelassenheit auf. Das ist auf dem Arbeitsmarkt superwichtig.

Und die Unternehmen?

Der Unternehmer hat eine Belegschaft, die er flexibler einsetzen kann, eine Belegschaft, mit der er in die Zukunft starten kann, die mit ihm auch Ungewissheit aushält, ohne in Lähmung zu verfallen. Dadurch hat er einen höheren Vermögenswert. Denn was macht den Wert von Unternehmen in einer Wissens- und Innovationsgesellschaft aus? Nicht die Maschine und nicht das Bankkonto, sondern der Mitarbeiter. Ich frage KMU immer: Was würdet ihr tun, wenn die Leute ab morgen keine Lust mehr hätten, zu euch zu kommen? Seid ihr dann noch handlungsfähig? Wir reden über den größten erfolgskritischen Faktor, den KMU haben. Den müssen sie managen.

Das alles setzt aber voraus, dass sich KMU selbstbewusste, mitdenkende Mitarbeiter wünschen …

Manchmal sagen mir Unternehmer, sie hätten in ihre Mitarbeiter investiert. Und jetzt seien diese viel selbstbewusster und redeten dauernd ins Geschäft rein. Das gefalle ihnen gar nicht, außerdem seien diese Beschäftigten schneller auf dem Sprung. Das lohne sich doch gar nicht. Meine Gegenfrage an die Unternehmer lautet dann: Können Sie es sich leisten, es nicht zu tun?

Zitat:

„Führungskräfte brauchen Leadership-Skills, die Fähigkeit, Menschen inspirieren zu können, zuzuhören und sich einzufühlen."

Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability 

Das heißt, Führung muss gewaltig umdenken?

Damit die Mitarbeiter nicht so schnell auf dem Sprung sind und sich der Return on Investment rentiert, müssen sich Firmenlenker und Führungskräfte Gedanken machen, wie sie mit selbstbewussteren Leuten umgehen. Die wollen mitreden, ja, aber das ist doch gut und sogar eine Entlastung, das gibt doch viel mehr Möglichkeiten. Employability geht mit einer zunehmenden Partizipation einher, ja sogar mit einer zunehmenden Demokratisierung.

Was empfehlen Sie konkret?

Führungskräfte müssen all das können, was ich bereits genannt habe. Außerdem sollten sie Macht abgeben, Eigenverantwortung und Autonomie fördern sowie die Managementkompetenzen beherrschen, die notwendig sind, um partizipativ zu führen. Und sie brauchen Leadership-Skills, die Fähigkeit, Menschen inspirieren zu können, zuzuhören und sich einzufühlen. Das hat viel mit der Persönlichkeit zu tun.

Wenn ich mich als Beschäftigter weiterentwickeln möchte, wie gehe ich vor?

Das Gespräch mit dem Chef suchen: „Ich möchte mich weiterbilden, gibt’s Möglichkeiten, mein Profil auszuweiten, zum Beispiel mit Job-Enrichment, Job-Enlargement, Job-Rotation?“ Sich fragen, ob die eigene Qualifikation noch dem aktuellen Stand entspricht, Stellenanzeigen lesen, im Internet surfen, Begrifflichkeiten checken. Wer all das tut, handelt gleichzeitig eigenständig und verantwortungsbewusst. Dazu gehört auch, in Balance zu bleiben, sich nicht zu überfordern und nicht schon in jungen Jahren auszubrennen.

Und wenn sich mein Unternehmen selbst noch gar nicht auf den Weg gemacht hat?

Die harte Antwort lautet: Dann muss man es losgelöst von seinem Arbeitgeber tun. Fehlt dem diese Einstellung, ist das keiner, mit dem man alt wird. Leute, die ihren Weg konsequent bis zu diesem Punkt gegangen sind, die werden auch was anderes finden.

Unabhängig vom Alter?

Bis 55 Jahre ist der Arbeitsmarkt mittlerweile schon beweglicher geworden.

Zitat:

„Ob jemand employable ist, hängt von der inneren Haltung ab, aber nicht grundsätzlich vom biologischen Alter."

Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability 

Ist da ein größeres Bewusstsein seitens der Unternehmen für die Kompetenzen älterer Arbeitnehmer gewachsen?

Ja. Einer der zentralen Gründe ist, dass es Weiterbildung inzwischen bis zum Renteneintrittsalter gibt. Zweitens: Die, die vor zehn, 15 Jahren noch das Defizitmodell des Alters vertreten haben, sind alle selbst gealtert. Der Personalchef ist jetzt selber 50, und für ihn kann das ja nicht stimmen – so seine Wahrnehmung. Drittens ist mittlerweile überall angekommen, dass die psychologische Forschung das Defizitmodell nicht aufrechterhalten kann. Ob jemand employable ist, hängt von der inneren Haltung ab, aber nicht grundsätzlich vom biologischen Alter.

Wenn sich das durchgesetzt hat, wieso hat es die Zielgruppe 45 plus dann immer noch schwerer, einen Jobwechsel zu vollziehen als Jüngere?

Die Frage ist, ob die Passgenauigkeit zwischen Aufgabe und Profil gegeben ist. Oft scheitert es auch an Gehaltswünschen. Das zu verdienen, was der Jüngere dafür bekommt, ist für viele Ältere „out of the range“. Das Unternehmen sagt dann, die Seniorität ist jetzt nicht so wertvoll. Ich bekomme einen, der halb so alt ist, für die Hälfte, und noch dazu ist der formbar und anpassungsfähiger.

Wie gehen Sie mit Ängsten um, also wenn Arbeitnehmer befürchten, aufgrund des digitalen Wandels ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder den Anschluss zu verpassen?

Derzeit wird diskutiert, dass sich die Chancen auf dauerhafte Beschäftigung für einige „durchschnittlich“ Qualifizierte, die mittleren Qualifikationsstufen, reduzieren könnten. Die bisher als selbstverständlich betrachtete Annahme, dass mit der Entwicklung neuer Technologien die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften steigt und die Nachfrage nach niedrig Qualifizierten sinkt, scheint nicht mehr zu gelten. Denn aktuelle Forschungsergebnisse zeigen veränderte Zusammenhänge. So wird es danach bei vielen Tätigkeiten, die bisher von Beschäftigten mit mittlerem Qualifikationsniveau bearbeitet werden und die eine manuelle und/oder kognitive, teilweise auch hochkomplexe Routineaufgabe darstellen, zu einer Substitution durch die Technik kommen.

Zitat:

„Der Blick zurück in die Vergangenheit kann niemals die Lösung für die Zukunft sein."

Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability 

Da steht einiges auf der Roten Liste. Doch es entstehen ja auch neue Jobs, die mit kreativer Denkarbeit und Innovation zu tun haben …

Was Menschen Angst macht, ist, dass das alte Qualifikationsprofil nicht mehr zum neuen Job passt. Das heißt, Unternehmen müssen die Menschen stufenweise qualifizieren: Wenn einerseits Jobs wegfallen, können sie sie nur Stück für Stück an neue Aufgaben heranführen. Um diesen Wandel sozialverträglich zu gestalten, möglichst ohne Verlierer, braucht es Investition, Zeit und Konzepte.

Sehen Sie auch Grenzen der Beschäftigungsfähigkeit?

Der Erfolg eines Unternehmens hängt heute mehr denn je davon ab, ob die Mitarbeiter ihre Talente einbringen können. Doch mehr als 70 Prozent der Beschäftigten kennen diese nicht. Für die Arbeitswelt ist das schlecht. Wenn Arbeitnehmer das nicht wissen, werden sie derartige dynamische Welten so stressig empfinden, dass sie sich wie ein Hamster im Rad vorkommen, sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht und suchen nach Ankerpunkten, und sei es den Blick zurück in die Vergangenheit. Doch der kann niemals die Lösung für die Zukunft sein. Von daher ist die Frage: Was ist mit den Menschen, die wollen, aber nicht können – aus gesundheitlichen Gründen, weil ihre Lebenssituation es ihnen im Moment nicht ermöglicht, warum auch immer? Hier muss das Subsidiaritätsprinzip einer Gesellschaft wirken. Wenn es Menschen gibt, die nicht können, ist es Aufgabe einer Gesellschaft, der Sozialgemeinschaft, ihnen dennoch eine Perspektive zu bieten.


Titelfoto: © Institut für Beschäftigung und Employability