
Porträt Renate Herre
Leserin zwischen den Zeilen
Renate Herre hatte nicht von vornherein den Plan, eine Führungsposition zu übernehmen. Die Chefin des Carlsen Verlags ist in die Rolle hineingewachsen und hat viel gelernt – gerade auch, warum es wichtig ist, seinen Angestellten zuzuhören.
Mit Kreativität und Gelassenheit
Einmal während ihrer sechsmonatigen Auszeit saß sie in einem bis zum Dach überfüllten Zug nach Delhi, als ein Mann ins Abteil stieg und eine wuchtige Tasche unterm Sitz verstaute. „Ich fragte, ob das Ware sei“, erzählt Herre. Das ganze Abteil fing an zu lachen. „Meine tote Mutter, wollen Sie sie kaufen?“, fragte er. Wie viele Inder hatte auch er nicht das Geld für eine Bestattung. Ein ganzes Leben in einer Tasche. „Man fragt sich in Indien ständig, wer man ist und was man will“, sagt Herre.
Als sie nach Deutschland zurückkam, wusste sie, dass sie nie mehr nur die betriebswirtschaftliche Verantwortung tragen, sondern kreativ tätig sein wollte: ein bisschen von der Freiheit einer Spieleentwicklerin und Programmmacherin zurückgewinnen.
Das Angebot zur Leitung des Coppenrath-Verlags kam im rechten Moment. Dem Münsteraner Verleger ging es nicht immer nur ums Budget, sondern um das Potenzial einer Geschichte. Herre blieb trotzdem nur anderthalb Jahre. Denn als Carlsen bei ihr anfragte, konnte sie nicht widerstehen. „Das war für mich die Erfüllung eines Traums.“
Herre wirkt, als hätten die Erfahrungen ihr Gelassenheit gebracht. Genau die ist es, die Kollegen an ihr schätzen, wenn sie ihren Punkt deutlich macht, ohne den anderen vor den Kopf zu stoßen. „Da muss man schon mal gegen die Meinung anderer entscheiden“, sagt sie.
Die See im Carlsen-Verlag ist heute deutlich ruhiger als 2012, Herre treibt Weiterentwicklung und Innovation voran. Apps und E-Books werden immer wichtiger, der Verlag pflegt Fan-Communitys im Netz und baut sein Digitalgeschäft aus. Er publiziert Bilderbücher, deren Inhalte sich mit einer App scannen lassen, um die Details zu vertiefen. Alles geht seinen Gang. Wenn wieder zu viel Routine einkehrt, weiß Renate Herre, was zu tun ist.
Fragebogen
Renate Herre über…
Routine
gibt es bei mir selten und das ist gut so.
Risikobereitschaft
ist sehr hoch und auch das ist das Spannende an meinem Job.
Vertrauen
ist die absolute Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit Kollegen – und Kreativen.
Telefonkonferenzen
sind eine schöne und unkomplizierte Art der Kommunikation. Funktionieren aber nicht bei jeder Art von Verhandlung.
Selbst geschriebene Briefe
finde ich schön, weil sie so persönlich sind. Bekomme ich heute noch manchmal von Autoren.
Geschäftsessen
braucht man unbedingt, weil ein Essen nach intensiven Verhandlungen immer etwas Lösendes hat.
Unternehmerporträts
Die geheimen Stars der deutschen Wirtschaft
Was hat Renate Herre mit Online-Händler Hans Thomann oder Westwing-Gründerin Delia Fischer gemeinsam? Sie alle haben den mutigen Weg ins Unternehmerdasein gewählt. Noch mehr inspirierende Porträts von Gründern und Führungskräften finden Sie unter „Mehr zum Thema“.
Esther Werderinghaus
Titelfoto: © Ulrich Perrey
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