
New Work im Handwerk
Ein Chef schafft sich ab
New-Work-Strukturen in einem Old-School-Handwerksbetrieb – gibt es die überhaupt? Ja, die gibt es. Zum Beispiel bei der Alois Heiler GmbH, einer mittelständischen Glaserei im badischen Waghäusel. Dort hat Firmenerbe Stephan Heiler vor einigen Jahren seinen Mitarbeitenden die Macht im Unternehmen übertragen. Ein Gespräch über eine Revolution von oben, die fast gescheitert wäre.

Das Team der Heiler Glas Manufaktur kümmert sich um individuelle Glaslösungen für Kunden.
Wie hat die Belegschaft auf Ihr Angebot reagiert?
Etwa ein Drittel war von der Idee begeistert, ein weiteres Drittel zurückhaltend bis positiv, und bei dem dritten Drittel war vom Skeptiker bis „Jetzt hat der Stephan einen Vollschuss“ alles dabei. Doch die Mehrheit hatte sich für den Wandel entschieden. In einer weiteren intensiven Zweitagesveranstaltung teilten sich die Mitarbeitenden selbst in drei regional orientierte Marktteams auf, die dann für die Kunden und Aufträge in diesen Gebieten zuständig sein würden. Außerdem wurde ein Produktteam geschaffen und eines für Prozesse, Organisation und Information. Und schon am nächsten Tag wurde die neue Struktur eingeführt. Das ist ja der Vorteil von unserer Art zu arbeiten: Sobald ein Entschluss gefasst ist, wird er umgesetzt, denn bei der Entscheidungsfindung waren schließlich alle dabei.

Stephan Heiler schreibt in seinem Blog über die Transformation seines Betriebes.
Und die ehemaligen Führungskräfte? Wie haben die sich verhalten?
Von den ursprünglich sieben Führungskräften waren zu dem Zeitpunkt noch vier da, nach weiteren fünfzehn Monaten noch zwei junge Frauen, die als Nachwuchskräfte kleine Teams führten. Für sie war die Umstellung kein großer Verlust. Die Transformation begann allerdings sehr holprig: Ein ehemaliger Abteilungsleiter machte uns direkt vor der Haustür Konkurrenz, warb Mitarbeiter ab und nahm Kunden mit. Das war ziemlich unschön, stärkte aber das Gemeinschaftsgefühl zwischen den anderen. Trotzdem dauerte es Monate, bis die Mannschaft darauf vertraute, dass wir ihr tatsächlich die Verantwortung übertrugen. Dazu kam, dass es in der ersten Phase drunter und drüber ging: Wir mussten uns nicht nur gesundschrumpfen, sondern kurz nach dem Kick-off auch noch die Insolvenz einer Schwesterfirma verkraften, die für uns Glas hergestellt hatte. Dadurch waren wir gezwungen, neue Lieferanten zu suchen. Alles in allem ein ganz schön wilder Ritt. Doch auch danach gab es immer wieder Zeiten, in denen die Dinge so schlecht liefen, dass es kritisch wurde. Dennoch sind wir aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen, denn es gelang uns, wichtige Lehren daraus zu ziehen.
Welche Rolle fiel Ihnen in diesem Prozess zu?
Meine Aufgabe war es – und ist es immer noch –, die Mitarbeitenden wie ein Coach zu begleiten, ihnen Probleme bewusst zu machen und sie dabei zu unterstützen, Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Die Kommunikation, vor allem in der Anfangsphase, war dabei ganz entscheidend, denn unsere Belegschaft ist sehr heterogen. Die meisten hatten sich zuvor gar keine Gedanken über Unternehmenskultur, Führungsstil oder Eigenverantwortung im Unternehmen gemacht. Und auch ich musste meine neue Rolle entwickeln. Manchmal wollte ich noch in alter Manier einen Lösungsvorschlag machen, um eine Entscheidung zu beschleunigen oder gar zu erzwingen. Da half manchmal auch ein kleiner Tritt ans Schienbein unter dem Tisch von Seiten des Coaches.

Das Team von Heiler Glasbau bearbeitet große Projekte für Bauträger oder Architekten
Und wer bestimmt nun bei Heiler, was gemacht wird?
Alltagsfragen wie beispielsweise „Sonderrabatt – ja oder nein?“ entscheidet die jeweils zuständige Person. Je größer und wichtiger ein Thema allerdings ist, desto größer ist auch die Gruppe, die darüber beschließt. Grundsätzlich wollen wir alle Betroffenen am Entscheidungsprozess beteiligen. Das Ergebnis muss dabei nicht einstimmig ausfallen – das gelingt vermutlich sowieso nie. Aber mit anderen Meinungen respektvoll umzugehen, ist ein wichtiger Teil des Entscheidungsprozesses.
Wie sieht es mit Einstellungen und Entlassungen aus? Wer ist dafür zuständig?
Seit fünf Jahren gibt es bei uns keine Führungskräfte mehr, seitdem kümmern sich die Teams selbst um die Personalangelegenheiten, was anfangs schwieriger verlief als erwartet. Da gab es den Fall einer Mitarbeiterin, die das Thema Verantwortung ernst nahm und sich gegen den Rat des ehemaligen Prokuristen für einen Bewerber entschied mit dem Hinweis: „Ich kümmere mich um seine Einarbeitung.“ Doch kurz vor Ende von dessen Probezeit kam sie zu mir und sagte: „Stephan, ich habe einen Fehler gemacht.“ Ihr großes Problem war, dass sie vor lauter Tagesgeschäft kein einziges der vorgesehenen Feedback-Gespräche geführt hatte. So schmerzhaft es für sie war, diese Kündigung auszusprechen: Ich bin überzeugt davon, dass das, was sie und das Team aus dieser Erfahrung gelernt haben, sehr viel nachhaltiger war, als es je durch eine Schulung möglich gewesen wäre.
Haben Sie selbst auch Fehler gemacht?
Sicher. Einer davon war, dass ich zu viel Zeit investiert habe, um die Führungskräfte von der Transformation zu überzeugen. Das würde ich heute nicht noch einmal so machen. Doch mein Bemühen, möglichst alle Mitarbeitenden auf diesen Weg mitzunehmen, war richtig und wichtig. Und ich bin überzeugt: Hätten wir den Umbau von einem hierarchischen Betrieb zu einer partizipativen Organisation nicht gewagt, gäbe es die Firma Heiler heute nicht mehr.
Teilen Sie Ihre Meinung zum Thema und Erfahrungen aus Ihrem Unternehmen mit anderen Nutzern! Bitte beachten Sie unsere Kommentarregeln.
Zur Person
Stephan Heiler
Stephan Heiler, Noch-Geschäftsführer von Heiler-Glas in Waghäusel bei Karlsruhe, Jahrgang 1975, hat Industriekaufmann gelernt. Er stieg 1997 in die Firma ein und verantwortete ab 2001 Marketing und ab 2009 zusätzlich den Vertrieb. Sein Vater Alois Heiler hatte die Firma 1984 in Waghäusel gegründet. Er war einer der ersten Glasduschenproduzenten in Deutschland und von Beginn an spezialisiert auf Maßanfertigungen aus Glas – zu Beginn nur für Bäder, später dann auch für Büros und Wohnräume. 2012 übernahm Stephan Heiler das Familienunternehmen mit damals ca. 80 Mitarbeitenden. Seitdem ist er Geschäftsführer – inzwischen jedoch nur noch auf dem Papier. Denn Heiler hat vor sieben Jahren begonnen, den bis dahin traditionell hierarchisch aufgestellten Mittelständler zu transformieren. Sein Ziel: nicht nur die Führungskräfte, sondern auch sich selbst abzuschaffen. Stattdessen sollen die Mitarbeitenden in naher Zukunft die Firma eigenständig steuern. Gemeinsam mit dem Berater Gebhard Borck hat er über die Transformation ein Buch geschrieben: „Chef sein? Lieber was bewegen! Warum wir keine Führungskräfte mehr brauchen“ erschien beim Verlag Orgshop.
Serie New Work
Längst wird das Konzept New Work in traditionellen Betrieben in Mittelstand und Handwerk umgesetzt. In unserer Serie zeigen wir, was das Konzept beinhaltet und wie es kleine und mittlere Betriebe unterschiedlicher Branchen umsetzen.
Teil 1 | Home statt Office, Vertrauen statt Kontrolle – was heißt New Work?
Teil 2 | Sprinkenhof GmbH: wie ein öffentliches Unternehmen zum attraktiven Arbeitgeber wird
Teil 3 | Afilio, undpaul, New Work Life: mit flexiblen Arbeitsmodellen gutes Personal anlocken
Teil 4 | Glasmanufaktur Heiler: New Work im Handwerk
Gunthild Kupitz
Ich bin begeistert und würde mir Wünschen, dass es mehr Betriebe geben würde die den Mut zu diesem Weg hätten! Viel zu oft wird das potenzial der Mitarbeiter unterschätzt und durch veraltete Führungsstile werden oft innovative Ideen ausgebremst. Die Führungskräfte oder meist der Unternehmer / Geschäftsführer vergisst fast immer, dass weit aus mehr als die hälfte seiner aktuellen Mitarbeiter sehr wohl am Wohl des Unternehmens gelegen ist und sie für den Erhalt ihres eigenen Arbeitsplatzes oft die richtigen Ideen haben. Doch sie bekommen nicht die Chance dies Ein- oder gar Umzusetzen Geschweige den das der direkte Mitarbeiter davon selbst profitieren würde...
Dies ist in unserem Unternehmen leider nicht anderes man spricht gar nicht mehr über seine Ideen, da diese nicht gehört werden weil man ja nur der Mitarbeiter ist und nicht die Führungskraft.
Ein sehr spannender Weg. Vor vielen Jahren habe ich meine Ausbildung in einem Kollektiv gemacht. Kommunikation bekommt eine noch viel wichtigere Bedeutung. Wir haben seinerzeit viel Energie in das Lernen von Kommunikation gesteckt - Anleitung zum sozialen Lernen war unser "Handbuch". Davon profitiere ich bis heute. Ich erinnere mich an lange Diskussionen und oft sehr schwierige Prozesse in der Entscheidungsfindung. Donnerstags war immer Plenum und das konnte lange dauern. Heute gibt es in diesem Betrieb sozusagen ein Führungsteam, das Angestellte hat. Alles Gute für das Team Heiler-Glas!