„Fehlerfreiheit ist nicht unser Ziel“

Beim Hörgeräteakustiker Wied aus Ludwigsburg führte vor allem mangelnde Kommunikation zu kostspieligen Fehlern. Im Team wurde deshalb ein Unternehmensleitbild erstellt, als Richtschnur für alle Mitarbeiter.


12.09.2018 - Annette Vorpahl -4 MinutenRichtig führen

Nach fünf Jahren im eigenen Betrieb war Jochen Wied nur noch Chef und kein Hörgeräteakustiker mehr. Fehler häuften sich vor allem durch mangelnde Kommunikation – ohne Hoffnung auf Besserung. 2012 stellte er sein Geschäft in Ludwigsburg um – gemeinsam mit den damals 14 Mitarbeitern. In mehreren Workshops erarbeiteten sie, wer Wied sein und wie der Betrieb wahrgenommen werden will. Die Unternehmensführung wurde um zwei Personen erweitert. Sieben Werte und ein Leitbild geben seither den Ton für sie und die 26 Mitarbeiter des Familienbetriebes an. Fehler tauchen häufiger auf als früher, doch jetzt freut sich Jochen Wied darüber.

„Wenn wir uns nicht mit der Unternehmenskultur befasst hätten, wäre die Summe der entdeckten Fehler wahrscheinlich kleiner als heute. Eigentlich zeigen sie nur, dass es Potenzial gibt, es besser zu machen: zum Beispiel Arbeitsabläufe vereinfachen. Oder nehmen wir die Kommunikation: Wenn ich das Ohrgewebe oder die Fingerfertigkeit eines Kunden falsch einschätze, dann kommt hinterher ein Ohrstück heraus, das nicht passt. Da hätte ich bei der Beauftragung genauer sein und klarer kommunizieren müssen. Es kommt auch vor, dass ein Teil in der falschen Farbe geliefert wird. Wenn sich das in der vorgegebenen Zeit nicht mehr ändern lässt, wird der Kunde informiert: Wollen Sie warten, oder akzeptieren Sie das Ohrstück in Grün statt in Blau?

So etwas besprechen wir jeden Morgen in unserer 15-minütigen Teamsitzung: Wie konnte das geschehen? Welche Begleitumstände gab es? Gibt es die auch in anderen Unternehmensbereichen? Lässt sich das vermeiden, oder müssten wir so viel am Prozessablauf ändern, dass wieder neue Patzer passieren? Wenn ich bei einem von 1.000 Fällen ein Fehlerchen habe und sich durch eine Veränderung die anderen 999 verschlechtern, nehme ich den einen Fehler gern in Kauf.

Mängel offen ansprechen

Wir arbeiten mit Menschen, Patzer gehören einfach dazu. Ich versuche das nicht an der Person festzumachen. Stattdessen frage ich, wie können wir besser schulen und es schaffen, dass Mängel offen angesprochen werden? Wichtig ist es, darüber zu reden, damit alle davon lernen. Ich nenne das Optimierungsmöglichkeiten. Mit dem Wort Fehlerkultur kann ich wenig anfangen. Ein Rüffel bringt nur was, wenn es sich um Schlampigkeit handelt. Dann halte ich es für sinnvoll aufzuzeigen, wo das Problem liegt. Unwilligkeit und Lethargie sind für mich die schlimmsten Fehler.

Zitat:

„Wir arbeiten mit Menschen, Patzer gehören dazu.“

Der Kern unserer Unternehmenskultur ist unser Leitbild. Es beinhaltet die Themen Pioniere, Professionalität, Individualität, Organisation, Netzwerk, Innovation, Engagement, Resultate und Entwicklung. Jeder Mitarbeiter hat ein kleines Buch bekommen, das mit dem Leitbild beginnt und in dem alle Werte und Regeln festgehalten sind, die wir gemeinsam entwickelt haben. Damals haben wir auch alle Arbeitsverträge geändert und ein offenes Gehaltssystem, ein leistungsbezogenes Prämiensystem, eingeführt.

Da geht es nicht um Verkaufszahlen, sondern: Wie gibt sich ein Mitarbeiter, wie eifrig ist jemand, wie fehlerbehaftet sind Tätigkeiten, wie innovativ ist er? Jeder Mitarbeiter schätzt sich regelmäßig selbst ein. Wir sind sehr stolz darauf, dass sich die Bewertungen in Summe decken. Alle sechs Wochen gibt es einen Gesprächstermin, an dem ein Firmenwert besprochen wird. Ich kündige ihn dem Mitarbeiter an. Er soll sich Gedanken machen, wo er Potenzial für die Firma und wo für sich sieht. Dann tauschen wir uns aus. Gerade habe ich mit einer Mitarbeiterin aus der Hörgerätelagerverwaltung über den Wert Resultate gesprochen. Konkret ging es darum, wie wir die Lagerräumlichkeiten noch besser organisieren können. Die Kommunikationsgeschwindigkeit bei uns ist extrem hoch geworden.

Kosten eines Fehlers ausrechnen? Lieber nicht!

Zu Beginn haben wir etwa sechs Monate lang die Kosten entstandener Mängel errechnet. Das war ein Fehler! Ich habe es dann schnell gelassen. Es frustriert nur, wenn man diese Summe sieht, und vernebelt den Blick aufs Wesentliche. Schäden auszurechnen kostet viel mehr Zeit als zu schauen, wie wir das künftig vermeiden können. Hätte ich Fehler eins nicht ausgerechnet und stattdessen geprüft, wie er sich vermeiden lässt, hätte ich Fehler zwei schon vermieden.

Am Ende unseres Leitbildes heißt es: „Wir sind Wied.“ Wir sind, wie wir sind. Mit allen Macken, positiven und negativen Ideen. Deshalb ist auch die völlige Fehlerfreiheit nicht unser Ziel. Dann würden wir stehen bleiben, und ich würde mich nicht trauen, was auszuprobieren. Stillstand heißt für mich Rückschritt. Ich will vorankommen – das habe ich in die berufliche Wiege gelegt bekommen. Am liebsten ist mir, wenn ich einen Fehler selbst mache. Dann haben die anderen auch was zu lachen. Es tut aber auch gut zu hören, was alles gut läuft.“

Meine Helden


Titelfoto: © Frank May/dpa picture alliance