
Tele Haase Wien
Firma ohne Chefs – geht das?
Vor fünf Jahren schuf das Wiener Technologieunternehmen TELE Haase alle Chefposten ab und ließ die Angestellten vollkommen autark arbeiten. Geschäftsführer Markus Stelzmann erinnert sich an einen aufwendigen Prozess, der das Unternehmen von grundauf veränderte.

Markus Stelzmann
Wir schotten uns auch nicht mehr ab, sondern lassen uns stark von außen inspirieren. Deshalb stellen wir 15 Start-ups Räume zur Verfügung und kooperieren auch mit Universitäten. Impulse von draußen sorgen für einen regen Wissenstransfer. Sich als Unternehmen zu öffnen und vom Know-how anderer zu profitieren ist ein großes Ziel unserer Firma. Deshalb pflegen wir das Verhältnis zu unseren „Mitmietern“ und stellen ihnen unter anderem Fertigungsmaschinen zur Verfügung.
„Wir haben 2,5 Millionen Euro Umsatz für die Veränderungen weggeschmissen.“
Um es kurz zu sagen: Wir haben ungefähr 2,5 Millionen Euro Umsatz weggeschmissen für diese Veränderungen. Zu den grundlegenden Veränderungen gehörte nämlich auch, dass wir moralisch korrekt handeln. Wir lassen unsere Ware zum Beispiel nicht in Bangladesch produzieren, nur weil ein Kunde es billiger haben möchte. In den ersten Jahren sind wir finanziell erst mal abgestürzt. Es braucht Mut, ein Unternehmen so umzukrempeln. Jeder beäugt eine Firma kritisch, in der es keinen Chef gibt. Aber es hat funktioniert: In den letzten Jahren haben wir große Gewinne geschrieben.
Förderung von Eigenverantwortung
Die Verwandlung war auch psychologisch kein Kinderspiel. Für manche Mitarbeiter war es schwer, den Job, den sie 20 Jahre gemacht haben, nun vollkommen eigenverantwortlich zu erledigen. 30 Prozent der Kollegen waren nicht gemacht für diesen Schritt und haben das Unternehmen verlassen. Ich bin überzeugt davon, dass das Thema Eigenverantwortung viel zu wenig gefördert wird in unserer Gesellschaft. Das fängt schon in der Schule an: Da geht es immer noch viel zu stark ums Funktionieren statt ums eigenständige Denken.
Auch Unis generieren oft nur Spezialisten. Dabei brauchen wir Mitarbeiter, die auch weltoffen, interessiert, neugierig und gespannt auf die Zukunft sind. Wir brauchen mehr Generalisten. Menschen, die sich dazu entscheiden, sinnhaft zu wirken. Bei uns ist es so: Wenn es unserer Firma nicht gut geht, schläft nicht nur die Geschäftsführung schlecht, sondern die ganze Belegschaft. Dann wird gemeinsam an einer Lösung gearbeitet. Die Mitarbeiter haben sich verändert. In den letzten fünf Jahren arbeiteten sie aktiv an einer Entschuldung des Unternehmens. Das macht uns stolz und zeigt, dass unser Weg richtig war. In Zukunft möchten wir sie am Unternehmen beteiligen. Ich bemerke viel mehr Stolz und Selbstständigkeit bei ihnen.
Markus Stelzmann
Meine Helden
Wer sind Ihre Vorbilder?
Meine Eltern, die uns mit bedingungsloser Liebe, Zugang zur Bildung und einen offenen Menschenbild ausgestattet haben.
Welches Buch hat Sie zuletzt beeindruckt?
Julian Jaynes: Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche – ein Buch über Ursprung und Entwicklung des menschlichen Bewusstseins
Was ist ihr Lieblinsmusikstück?
The Clash: Should I stay or Should I Go – der Song meiner Jugend und ein Lebensgefühl
Der Mittelstand muss mit der Zeit gehen
Ich glaube, KMU tun sich schwer mit Veränderungen. Jetzt funktioniert das hierarchische Führungsprinzip vielleicht noch. Aber sollte sich die wirtschaftliche Hochphase abkühlen, wird sich zeigen, wer wirklich mit der Zeit gegangen ist. Welche Unternehmen sich mit den Fragen der Zukunft beschäftigt haben: mit künstlicher Intelligenz, Digitalisierung und der Ressource Mensch. Welche Schritte haben sie unternommen, um ihren Mitarbeitern die Angst vor Verantwortung zu nehmen?
Wir können als Unternehmen immer noch scheitern, aber wir könnten das auch, wenn wir so weiterarbeiten würden wie vorher. Der Unterschied zu damals ist, dass es gut für uns läuft – und dass wir uns viel besser als vorher fühlen.“

Eva Stöger
Meinung
Eva Stöger, seit 1989 Office-Managerin bei TELE Haase
„In unserem Unternehmen handle ich sehr eigenverantwortlich und selbstständig. Bei meiner Arbeit schaut mir keiner über die Schultern, und ich verfolge ganz konsequent meine Ziele. Das empfinde ich als großen Vorteil. Der Nachteil des Arbeitens ohne Chef ist, dass ich einen klassischen Zehn-Stunden-Tag auch mal überschreite. Gar nicht mal nur am Arbeitsplatz, sondern auch gedanklich. Ich schalte dann nicht ab, sondern denke Arbeitsvorgänge zu Hause weiter. Ich glaube, das liegt daran, dass ich das Ganze viel mehr lebe als vorher – und das ist eine Bereicherung.“
Firma ohne Chefs
Sind Hierarchien passé? Hat der klassische Chef ausgedient? Was meinen Sie?
Firma ohne Chefs
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457 Teilnehmer
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Nadine Osterhues
Titelfoto: © Stone Sub/Getty Images
Den alles bestimmenden Chef gibt es zum Glück schon in vielen Unternehmen nicht mehr. Mehr Verantwortung für den einzelnen Mitarbeiter funktioniert aber nur im individuellen Austausch, um den jeweiligen Menschen nicht zu überfordern. Mitarbeiterorientierte Organisation ist der Schlüssel zum Erfolg.
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank dafür, dass ich Ihnen einmal Rückmeldung geben darf. Das tut gut. - Ich tue es gern, allerdings auch mit einer Bitte:
als Start- up ist es zwar mein Ziel, viel gleichberechtigter zu handeln, aber die gesetzlichen Vorgaben und meine mangelnden betriebswirtschaftlichen Kenntnisse und ressourcen wie auch die Verwaltungsvorschriften lassen mich lediglich mit Praktikanten arbeiten. Meine Schulden werden kaum kleiner, obwohl ich viele Freunde und Unterstützer habe, die genauso genommen werden wollen, wie andere Selbstständige. - Ich sehe nicht, wann ich eines Tages auf den 'Grünen Zweig' gekommen bin, nur dass etwas sich verbessert.
Allein, um die nötige Transparenz zu schaffen, bräuchte ich einen fleißigen professionellen Betriebswirtschaftler. an meiner Seite. Ich arbeite im erziehungswissenschaftlichen und Gesundheitsbereich, allerdings auf dem Land, 16 km von einer Unistadt entfernt. Zunehmend werde ich auch von Kurzeitmitarbeitern aus den Ausland gefunden.
Es ist für mich noch zu schwer, Genaueres abzusehen nach 5 Jahren gemeinnützigkeit im sozailwirtschaftlichen Bereich , trotz Mitgliedschaft im Wohlfahrtsverband.
Was kann die Arbeitsagentur noch für uns tun? Ich bitte um Beratung, damit es schneller gehen kann.
Danke!
ich freue mich, dass es deutschland wieder richtig gut geht, aber mir bleibt zurzeit ein Einkommen von unter 1000 €, 3-4 Tage urlaub im Jahr, und viel Freude mit Helfern, aber auch Steuerschulden von 25.000 €. Auch unsere Klientel ist hoch erfreut über unsere Arbeit, kann und will aber mit den Notwendigkeiten der Bezahlung kaum mitgehen. Auch spielt Krankheit eine große Rolle.
Bitte helfen Sie uns, mit unserem Wirken schneller aus dem Defizitbereich in eine wirtschaftlichkeit zu kommen. www.bunte-lebenswelten.de
Mit herzlichem Dank.für Ihr Verständnis
Angelika Specht
Danke für diesen interessanten Kurzbericht.
Ich konnte mich nicht entscheiden, mit "ja" oder "nein" abzustimmen.
Wie im Artikel erwähnt, hängt vieles von Bildung ab. Bilde und präge ich Kinder und junge Menschen in Richtung reiner Wissensvermittlung oder leite ich sie an, Eigenverantwortung, Kreativität, Authentizität und Denken in Zusammenhängen zu leben.
Das ist nicht nur eine Frage von Unternehmensführung. Es ist aus meiner Sicht eine Frage, wie Menschheit und Gesellschaft sich generell (weiter)entwickeln bzw. degenerieren.
Die derzeitige Tendenz (Mainstream) sehe ich seit Jahren eher in dem Ziel, nicht (mehr) den "mündigen Bürger", sondern den "willige Konsumenten" verstetigen zu wollen.
Und ich sehe keine politischen oder gesellschaftlichen Bestrebungen mit entsprechender Relevanz und Stärke, die diesen Prozess umkehren möchten.
Schade.
Ähnlich wie K. Rieder konnte auch ich mich nicht für ein klares ja oder nein entscheiden.
Ich denke, dass eine solche Unternehmensform für viele Menschen sehr geeignet wäre, die einfach mehr wollen, als ihren Job zu tun und an eine/n Vorgesetzte/n zu berichten. Die ihren aktuellen Job und Arbeitgeber mögen, aber gerne mehr mitbestimmen würden.
Andererseits gibt es mindestens genauso viele Arbeitnehmer, die keine Verantwortung tragen möchten. Die im Beruf den reinen Lohnerwerb sehen und jeden Tag auf das Ende ihres Arbeitstages warten. Die ihre Erfüllung in anderen Lebensbereichen sehen. Oder die in ihrem Job und Unternehmen sehr zufrieden sind und trotzdem keine Veränderung, wie im Artikel beschrieben, wollen.
Jeder Mensch ist anders.
Manche müssen geführt werden, andere nicht. Manche wollen geführt werden, andere nicht.
Ein Patentrezept gibt es hier, wie in (fast) allen Bereichen des Lebens, meiner Meinung nach nicht.
Die immer größere Komplexität und höhere Geschwindigkeit unserer Zeit ist m.E. Nur durch selbsorganisation und selbstmanagent erfolgreich zu begegnen. Dabei werden sich automatisch fachliche Leader heraus kristallisieren, die aber aufgrund einer nicht vorhandenen Rolle nur dann Anerkennung finden, wenn sie auch Kolleginnen mitnehmen die geführt werden wollten. Die Rolle der Linien Führungskräfte verschwindet auch nicht ganz, siehe Personal Verantwortliche, sondern verändert sich durch Abgabe von Verantwortung und zugehöriger Kompetenzen - Stichwort der servant Leader.
Wir sollen wählen, Kinder erziehen, Häuser bauen, eine Gesellschaft gestalten. Wenn wir zur Arbeit gehen sollen wir geführt werden. Das passt nicht mehr.
Es genügt nicht die optimale Meinung für die Zukunft zu vertreten.
Sie muss auch bei M e n s c h e n konventioneller Prägung mit eigenen Vorstellungen vom Bewahren der Erziehung und Tradition in der Zukunft durchsetzbar sein. Die Motivation muss in diesem Kreis durch das Umfeld aufgebaut werden - über die Zeit... JPM
Ich habe die eigene Erfahrung gemacht, dass es nicht funktioniert.es gab ein Institut in Ostdeutschland nach der Einheit.den Mitarbeitern fehlte es an Eigeninitiative und-Verantwortung für das Ganze.es wurde ein charismatischer Geschäftsführer gewünscht.Selbstdisziplin und Kreativität fehlten.vielleicht lag es an der Personalzusammensetzung und der überwältigenden Konkurrenz.am Geld und Aufträgen mangelte es ursprünglich nicht.die Situation war offen und nicht chancenlos.ein “Traum“ ist gescheitert.schön dass es auch positive Beispiele gibt.vielleicht lag es auch an der eigenen mangelnde n
Man sollte einmal diese Seite lesen, dass relativiert diesen "schönen" Artikel etwas:
https://www.kununu.com/at/tele-haase-steuerungsgeraete-gesmbh/kommentare
Danke für den interessanten Artikel. Ich habe eine Frage: wem gehört das Unternehmen? Im Artikel steht, dass „wir“ die Mitarbeiter künftig mehr am Unternehmen beteiligen wollen. Ich denke, dass der Verzicht auf 2,5 Millionen Umsatz und das Risiko des gesamten Prozesses eine schwerwiegende Entscheidung für diejenigen sind, denen das Unternehmen gehört, die Verantwortung für die (in diesem Fall 80 Mitarbeiter) tragen und ggf. persönlich haften. Darin sehe ich eine große Hürde, um dieses Modell zu adaptieren.
Nur kurz, denn man kann viel darüber schreiben und diskutieren: Es wird nur funktionieren bei einer überschaubaren Anzahl von engagierten und eigenverantwortlichen Mitarbeitern. Versuchen Sie einmal ein großes Unternehmen ohne Vorgesetzte/Chefs zu führen. Große Unternehmen sind auch ein Sammelbecken für nicht so eigenverantwortliche Mitarbeiter. Ohne Chefs zu führen/zu arbeiten wäre ein Geschäftssegment für Unternehmensberatungen. Ich bin nun im Ruhestand.-