
Führungsqualität
Vertrauen lernen
Um Mitarbeiter zu binden, müssen Unternehmen anspruchsvolle Tätigkeiten und Spaß an der Arbeit bieten, dazu einen fairen Umgang miteinander. Diese Werte müssen gelebt werden – denn hohle Phrasen werden leicht durchschaut.
Werte vermitteln sich durch Rollenmodelle
Das alles sind gelebte Werte, „und Werte vermitteln sich durch Rollenmodelle und deren Beobachtung“, sagt Thomas Sattelberger, Themenbotschafter der Initiative Neue Qualität der Arbeit. Ziel dieser vom Bundesarbeitsministerium geförderten Initiative ist es, den Umgang mit Arbeit so zu verbessern, dass sowohl Unternehmen als auch Beschäftigte profitieren. Dabei helfen Checks, Handlungshilfen und Selbsttests wie „Guter Mittelstand“ oder „Personalführung“. Ein weiteres Thema ist die psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Denn es schlägt durchaus aufs Gemüt, wenn Chefs ihre Mitarbeiter anschnauzen, selbst aber kritikresistent wurschteln dürfen. Oder wenn eigene Vorschläge regelmäßig abgeschmettert werden und Bevormundung als tägliche Routine erlebt wird.
Jeder Mitarbeiter sieht, wie Kollegen miteinander umgehen, welche Rolle die Chefs einnehmen, wie auf Kritik reagiert wird – und leitet daraus ab, welche Werte gelten. Wem die nicht passen, der hat kaum eine andere Möglichkeit als zu kündigen. Denn die herrschenden Werte in einem Betrieb auf Knopfdruck zu ändern, sagt Experte Sattelberger, ist unmöglich. Wer es ernst meint, braucht einen langen Atem.
Die Deutsche Telekom hat es versucht. „Wir haben ,Werte’ von ihrem hohen Ross heruntergeholt und gefragt: Wie gehen wir miteinander um, wie werden Integrität und Vertrauen gelebt“, sagt Sattelberger, bis 2012 Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Telekom. In Gesprächskreisen ging es anfangs um den Austausch, aber schon im zweiten Schritt darum, etwas zu ändern: „Was können wir selber anpacken? Und wo müssen wir die nächsthöhere Stufe einbinden?“
„Wir haben die Werte von ihrem hohen Ross heruntergeholt.“Thomas Sattelberger, Themenbotschafter der Initiative Neue Qualität der Arbeit.
Die oberste Stufe, die Geschäftsleitung, muss sowieso eingebunden sein. Wenn die nicht signalisiert, wie wichtig diese sogenannten weichen Faktoren sind, bleibt alles bei bloßem Gerede. „Wir haben das Führungsverhalten nicht nur zum Thema bei den Personalgesprächen gemacht, sondern auch vergütungsrelevant“, sagt Sattelberger. Bis zu zehn Prozent der mittelfristigen, also auf bis zu drei Jahre ausgelegten variablen Vergütung wurden Managern abgezogen, die allzu rambohaft mit ihren Mitarbeitern umgingen.
Welchen Wert die Werte haben, zeigt sich bei Beförderungen: Bekommt der fachlich gute Rambo den Posten oder jemand mit sozialer Kompetenz? „Wie solch eine Entscheidung ausfällt“, sagt Sattelberger, „das hat immer eine Signalwirkung.“ Und sorgt gegebenenfalls für Verdruss, oft bei den besten – weil kreativsten – Mitarbeitern. Die gehen dann.
Info im Netz
Können Sie führen?
Ziel der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Initiative Neue Qualität der Arbeit ist es, den Umgang mit Arbeit so zu verbessern, dass sowohl Unternehmen als auch Beschäftigte profitieren. Dabei helfen Checks, Handlungshilfen und Selbsttests. Auch zum Thema Personalführung gibt es Hilfe. Jüngst erarbeitete Infos sind im Internet unter untenstehendem Link zu finden. Ein weiteres Thema, um das sich die Initiative kümmert, ist die psychische Gesundheit in der Arbeitswelt.
Wechsel zwischen Büro und zu Hause
Die LVM Versicherung verliert eher selten Mitarbeiter. In der Zentrale in Münster beträgt die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit 15 Jahre. Andrea Haeusler, Verkaufsförderin in der Haftpflichtversicherung, ist noch länger dabei. Ihr gefällt „die große Wertschätzung, die teilzeitbeschäftigten Frauen hier entgegengebracht wird“. Wer kann und will, darf die halbe Arbeitszeit zuhause verbringen. Ohne jede Kontrolle?
„Naja, die Leistung muss natürlich stimmen“, sagt Werner Schmidt. Der IT-Vorstand der LVM hat das Telearbeit-Programm von Anfang an begleitet, in den 1990ern war das, als die Zentrale aus allen Nähten platzte. Aus dieser Not heraus fragte die LVM ihre Mitarbeiter, ob sie nicht von zu Hause aus arbeiten wollten – und war überrascht von der enthusiastischen Reaktion. Heute arbeitet fast jeder Dritte der mehr als 3000 Angestellten der Zentrale zeitweise zu Hause.
Der Weg dorthin war nicht ganz einfach, die LVM ist in manche Sackgasse getappt. Zum Beispiel der wochenweise Wechsel zwischen Büro und zu Hause: „Das funktioniert nicht“, sagt Schmidt. „Wenn jemand so lange draußen ist, dann fehlt der soziale Kitt, der Austausch mit den Kollegen.“ Womit auch Tratsch und Klatsch gemeint sind. Heute wird meist von Tag zu Tag gewechselt.
Schwer taten sich anfangs auch einige Vorgesetzte mit der Telearbeit. „Aus Angst vor Status- und Kontrollverlust“, sagt Schmidt. Sie zitierten ihre Mitarbeiter an Teletagen in die Zentrale – um zu zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. So lang war der Hebel dann doch nicht: Nachdem die Mitarbeiter vorgerechnet hatten, wie viel Arbeit liegen blieb, wenn sie nach Münster und zurück pendeln, gingen den Chefs die Argumente aus.
Die Beziehungen ändern sich. Mitarbeiter werden selbstständiger, und Vorgesetzte müssen das anerkennen – ob sie wollen oder nicht. „Dass Manager in einer solchen Situation umlernen, erwarten wir von Führungskräften“, sagt Schmidt. Auch wenn die von der Einführung der Teletage überrascht wurden: Der Vorstand hatte das Programm mit dem Betriebsrat vereinbart, vorbereitende Schulungen für Manager fielen aus Zeitgründen aus. „Das würde ich nächstes Mal anders machen“, sagt Schmidt.
„Wir haben ganz bewusst wenig feste Regeln.“Werner Schmitdt, IT-Vorstand der LVM
Heute sind die Vorgesetzten vor allem als Coach gefragt. Wichtiger als Fachkenntnisse sind echte Führungsqualitäten, Kommunikation, gemeinsam zu treffende Entscheidungen. Geht es fair zu im Team, was die Büro- und Telezeiten betrifft? Mutet sich niemand zu viel zu? Eigenverantwortlich und selbst organisiert zu arbeiten, das liegt nicht jedem. „Wir achten darauf, niemanden zu überfordern“, sagt Schmidt. „Schließlich soll es ja klappen mit der Work-Life-Balance.“ Dabei helfen Teletage, nicht nur, weil das lästige Pendeln wegfällt. „Wegen der fehlenden Ablenkung sind Telearbeiter auch produktiver“, haben sie bei LVM festgestellt. Deshalb müssen von den Telearbeitern – so ist es mit dem Betriebsrat abgemacht – fünf Prozent mehr Leistung erbracht werden. „Da schmunzeln die Kollegen drüber“, sagt Schmidt.
Wenn Telearbeit also Zeit und Geld spart, warum zögern so viele Unternehmen? „Weil es Vertrauen und Mut erfordert“, sagt Schmidt. Sein Unternehmen sei für diesen Mut reichlich belohnt worden. Feste Regeln würde jeder zu seinen Gunsten auslegen oder dehnen, sagt Schmidt. Wem hingegen vertraut würde, der wolle dieses Vertrauen nicht enttäuschen. „Deshalb haben wir ganz bewusst so wenig feste Regeln wie möglich – das funktioniert einfach besser.“
Und es spricht sich herum. „Wir brauchen keine Imagekampagnen, um uns als Arbeitgeber interessant zu machen“, sagt LVM-Personalleiter Guido Hilchenbach. „Wir verfügen über ein viel wirksameres Werbemittel: unsere Mitarbeiter.“
Mitarbeiter als Botschafter
Damit schließt sich der Kreis: Unternehmer brauchen ihre Mitarbeiter auch als Botschafter. Im Gespräch mit diesen Botschaftern entscheiden mögliche Kandidaten: Lohnt es sich, hier anzufangen – oder lieber nicht? Die Zeiten, in denen Bewerber Schlange standen, um überhaupt in Lohn und Brot zu kommen, sind in vielen Branchen vorbei. Unternehmen suchen verzweifelt Fachkräfte, oft monate- oder gar jahrelang. Qualifizierte Leute wissen längst, dass sie sich ihren Arbeitgeber aussuchen können. Gutes Geld gibt es überall. Umso wichtiger werden die weichen Faktoren: der Spaß an der Arbeit, die Aussicht, etwas bewegen zu können, und die Aussicht auf genügend Leben jenseits des Jobs.

Fachsimpelei unter Kollegen: Alltag im Großraumbüro bei Allsafe Jungfalk.
Das bieten nicht nur die Metropolen. Mögen andere Unternehmer fluchen, deren Betriebe weitab der großen Städte liegen, Detlef Lohmann im 6000-Einwohner-Städtchen Engen sieht keinen Grund zur Klage. „Mittlerweile bekomme ich auch für die qualifizierten Posten die Leute, die ich brauche“, sagt der Chef von Allsafe Jungfalk. „Es hat sich offenbar herumgesprochen, wie wir hier arbeiten.“
Jeder so eigenverantwortlich wie möglich. Und was macht der Chef, wenn doch ein Mitarbeiter vor ihm steht und nicht weiter weiß? „Erst einmal tief durchatmen.“ Dann stellt Lohmann ein paar Fragen, um das Problem besser zu durchdringen. „Dabei kommt er meist schon von selbst auf die richtigen Gedanken.“
Chef Lohmann grinst: „Das wissen wir doch seit Sokrates: Wer fragt, der führt.“
Checkliste
Was kann ich tun, um die Vertrauenskultur zu stärken?
- Reden Sie miteinander
Richten Sie Gesprächsrunden ein, in denen hierarchieübergreifend die gewünschten Werte vereinbart werden – und Maßnahmen, um sie umzusetzen.
- Seien Sie Vorbild
Die Werte müssen von der Geschäftsführung nicht nur unterstützt, sondern in der täglichen Arbeit gelebt werden. Die Vorbildfunktion ist zentraler Erfolgshebel.
- Notieren Sie Eckpunkte schriftlich
Flankiert wird dieses Vorgehen von einem Führungsleitbild, das direkte und offene Kommunikation auf allen Ebenen betont.
- Machen Sie den Check-up
Überprüfen Sie die Unternehmensstruktur (Aufbau, Abläufe, Zuständigkeiten) und gleichen Sie sie an die gewünschten Prozesse an.
- Schulen Sie Ihre Leute
Sowohl Führungskräfte wie die Belegschaft müssen vertraut gemacht werden mit den neuen Abläufen – das neue Wertesystem bildet sich dann von selbst (allerdings nie von heute auf morgen).
- Definieren Sie Standards
Werte zeigen sich im Umgang miteinander. Zentrale Fragen sind dabei: Wie gehen wir mit Meetings um, wie mit Feedback?
- Pflegen Sie das offene Wort
Mediationsgespräche bei Konflikten zeigen insbesondere in den ersten Monaten, in welche Richtung sich das Unternehmen entwickeln soll – und wie ernst es den Beteiligten ist.
Info
Auf Wanderschaft

Abitur mit 18, zack, zack ein paar Uni-Semester – und die junge Führungskraft ist fit für ihre Aufgaben? Nein, so funktioniert das nicht, erkannte die Wittenstein AG und erinnerte sich an eine mittelalterliche Tradition: die Walz. Der Igersheimer Mechatronik-Konzern bietet jungen Frauen und Männern nach Ausbildung oder Studium die Chance, vor dem Eintritt ins Berufsleben die Welt kennenzulernen. Wer für Wittenstein auf die Walz gehen mag, stellt sich selbst eine Aufgabe und organisiert dann selbstständig seinen zwei- bis dreimonatigen Aufenthalt in einem fremden Land. Die „Wanderschaft“ soll den Horizont erweitern und den jungen Menschen andere Kulturkreise und Lebensformen näherbringen.
Keineswegs uneigennützig: „Die persönlichen Erfahrungen und der offene Blick der Pioniere auf die Welt wird ihnen und damit auch unserem Unternehmen im Berufsalltag ungemein nützlich sein“, sagt der Vorstandsvorsitzende Manfred Wittenstein. Für die künftige Entwicklung von Mitarbeitern und Märkten wie auch des Unternehmens sei es entscheidend, sich in fremde Kulturkreise hineinversetzen zu können und sie zu verstehen, heißt es bei Wittenstein. Wie denken und fühlen Menschen in anderen Teilen der Welt? Wie funktionieren und interagieren die dortige Kultur und das Arbeitsleben? Welche Werte zählen wo in der Welt?
aktualisiert am 24. August 2016
Michael Prellberg
Titelfoto: © Christian Schnur
Teilen Sie Ihre Meinung zum Thema und Erfahrungen aus Ihrem Unternehmen mit anderen Nutzern! Bitte beachten Sie unsere Kommentarregeln.