
Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz
Multitasking: Mythos oder Methode?
Noch schnell eine E-Mail schreiben, da klingelt auch schon das Telefon. Im Hintergrund dudelt das Radio. Und dann platzt auch noch der Kollege ins Büro. Eine Situation, die in vielen Unternehmen zum Alltag gehört. Doch was für Frauen angeblich kein Problem ist, stellt männliche Mitarbeiter vor Herausforderungen. Oder ist das alles nur ein Mythos?

Als Führungskraft weiß Julia Schröder aus Erfahrung, wie häufig Führungskräfte Aufgaben gleichzeitig erledigen müssen.
Gilt das auch für Frauen – oder können die tatsächlich viel besser mehrere Dinge gleichzeitig machen?
Nein, alle Studien, die mir dazu bekannt sind, zeigen, dass es keinen geschlechtersignifikanten Unterschied beim Multitasking gibt.
Für Führungskräfte gehören stetige Unterbrechungen zum Alltag, sie haben immer mehrere Bälle in der Luft. Wie schaffen die das dann überhaupt?
Unterbrechungen sind ganz einfach etwas anderes als Multitasking. Während wir beim Multitasking versuchen, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu bearbeiten, zeichnet Unterbrechungen aus, dass plötzlich und oft unerwartet eine neue Anforderung von außen kommt, die uns aus der aktuellen Handlung abrupt herausholt. Ich muss mich gedanklich kurzfristig auf etwas Neues einstellen und danach wieder neue Konzentration für die vorherige Aufgabe finden. Auch dies ist, wenn es zu häufig passiert, belastend. Führungskräfte, die für ihre Mitarbeiter ansprechbar sein möchten, sollten häufige Unterbrechungen in ihren Arbeitsalltag einplanen und sie als Kern ihrer Führungsaufgabe begreifen. Oder wenn es überhandnimmt, stärker steuern, also mehr Jour-fixe-Termine mit den Mitarbeitern vereinbaren, damit Rückfragen zeitlich besser planbar werden.
Die Digitalisierung sollte unseren Arbeitsalltag eigentlich erleichtern – inzwischen haben aber viele das Gefühl, dass gerade sie Multitasking erforderlich macht. Wie kann man Abhilfe schaffen?
Ich glaube, dass wir vor allem den Umgang mit den digitalen Helfern lernen müssen. Es braucht eine unheimliche Selbstdisziplin, um sich nicht davon vereinnahmen zu lassen. Deshalb ist es notwendig, sich ganz bewusst zu überlegen: Wie oft am Tag schaue ich eigentlich auf mein Handy? Und muss ich wirklich den ganzen Tag mein E-Mail-Postfach geöffnet haben?
Was für einen Umgang schlagen Sie vor?
Früher genügte es, einmal am Tag den Briefkasten zu leeren. Warum sollte es dann heute nicht reichen, die E-Mails zu bestimmten Zeiten und nur zwei- oder dreimal am Tag abzurufen? Und dann auch wirklich nichts anderes nebenbei zu machen.
Wie kann ein Arbeitgeber Multitasking verhindern?
Wichtig sind Priorisierungen. Die Führungskraft sollte sich immer fragen: Muss ich die Aufgabe sofort erledigen, weil sie dringend ist? Oder kann ich sie auf einen späteren Zeitpunkt verschieben? Oder noch besser: Kann ich die Aufgaben delegieren oder extern auslagern? Und manchmal auch: Ist die Erledigung der Aufgabe wirklich notwendig und zielführend? Was ist unsere Zielsetzung? In der Schnelle und Dichte digitaler Kommunikation kommt es meiner Meinung nach oft zu unnötigen Arbeitsprozessen, die ein bekannter Psychologe neulich „Scheinerledigungen“ genannt hat.
Es gibt aber auch viele Beschäftigte, die die Struktur ihres Arbeitsalltages gar nicht selbst bestimmen können. Hier sind dann ebenfalls die Führungskräfte gefragt, oder?
Genau, das erfordert dann Absprachen im Team oder im gesamten Unternehmen. In der Praxis zeigt sich häufig, dass Stress bei den Mitarbeitern dann entsteht, wenn sie nicht wissen, was ihr Vorgesetzter eigentlich von ihnen erwartet. Wenn der Chef beispielsweise abends um 20 Uhr noch eine Arbeitsaufgabe verschickt, erwartet er dann, dass die am nächsten Morgen erledigt ist? Eine sehr einfache Lösung ist es, den Vorgesetzten einfach zu fragen.
Und was, wenn der Mitarbeiter das nicht macht?
Es gibt viele Anzeichen, auch ohne Worte zu merken, dass die Mitarbeiter unter Druck stehen. An einer gestressten Kommunikation beispielsweise oder wenn die Mitarbeiter anfangen, Mittagspausen ausfallen zu lassen. Das Wichtigste ist, ein Vertrauensverhältnis im Team zu schaffen, in dem die Mitarbeiter sagen, wenn ihnen die Aufgaben zu viel werden. Noch bevor sie versuchen, alles gleichzeitig zu erledigen.
Mehr Infos
Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – psyGA
Das Projekt Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt (psyGA) der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert. Unter dem Motto „Kein Stress mit dem Stress“ bietet psyGA praxisnahe Materialien zum Thema psychische Gesundheit für Unternehmen und Organisationen aller Branchen und Größen, die sich gleichermaßen an Beschäftigte sowie an Personalverantwortliche bzw. Führungskräfte richten. Die Projektleitung liegt beim BKK Dachverband e.V.
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Birte Schmidt
Titelfoto: © Maslowski Marcin/Shutterstock
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