Multitasking: Mythos oder Methode?

Expertin Julia Schröder verrät, ob Multitasking möglich ist, welche Gefahren lauern und welche Lösungen es gibt.


07.08.2019 - Birte Schmidt -5 MinutenRichtig führen

Noch schnell eine E-Mail schreiben, da klingelt auch schon das Telefon. Im Hintergrund dudelt das Radio. Und dann platzt auch noch der Kollege ins Büro. Eine Situation, die in vielen Unternehmen zum Alltag gehört. Doch was für Frauen angeblich kein Problem ist, stellt männliche Mitarbeiter vor Herausforderungen. Oder ist das alles nur ein Mythos?

Dr. Julia Schröder ist Leiterin der Abteilung Gesundheitsförderung, Pflege und Rehabilitation beim BKK Dachverband e.V., der politischen Interessenvertretung der betrieblichen Krankenkassen in Deutschland. Der BKK Dachverband leitet das vom BMAS geförderte Projekt psyGA – psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Als Führungskraft weiß Schröder um die Gefahren des Multitaskings für sich und ihre Mitarbeiter – und wie man vorbeugen kann.

Faktor A: Frau Schröder, was ist denn eigentlich genau mit Multitasking gemeint?

Julia Schröder: Multitasking bedeutet nichts anderes, als dass ich mehrere Sachen gleichzeitig mache. Wenn ich beispielsweise eine Zeitung lese und nebenbei meinen Kaffee trinke oder wenn ich joggen gehe und gleichzeitig Musik höre, dann funktioniert das auch sehr gut. Ein sehr verbreitetes Phänomen ist aber beispielsweise, dass viele Mitarbeiter im Meeting ihre E-Mails checken, während sie eigentlich den Kollegen zuhören. Und das führt zu Stress.

Weil es nicht so gut gleichzeitig funktioniert?

Genau. Es gibt inzwischen viele Studien, die besagen, dass unser Gehirn definitiv nicht in der Lage ist, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Stattdessen schaltet es ganz schnell hin und her. Das ist natürlich möglich, eben wenn wir laufen und gleichzeitig Musik hören. Und es geschieht so schnell, dass wir das Gefühl haben, dass unser Gehirn zwei Dinge gleichzeitig erledigen kann. Aber immer dann, wenn ich nicht nur etwas wahrnehmen, sondern auch reagieren muss, funktioniert das nur unter einer extremen Anstrengung.

Multitasking kostet also sehr viel Energie, weil ich mich permanent gedanklich auf etwas Neues einstellen muss und mich jedes Mal neu hineindenken muss. Und das erfordert eine sehr hohe Konzentration.

Und führt in der Folge zu Stress?

Genau, weil man viel länger braucht, um eine einzelne Aufgabe zu beenden und das Gefühl bekommt, dass man nichts fertigkriegt. Das löst dann ein Beanspruchungsempfinden aus.

Gilt das auch für Frauen – oder können die tatsächlich viel besser mehrere Dinge gleichzeitig machen?

Julia Schröder Multitasking Psyga
© psyGA - Als Führungskraft weiß Julia Schröder aus Erfahrung, wie häufig Führungskräfte Aufgaben gleichzeitig erledigen müssen.

Nein, alle Studien, die mir dazu bekannt sind, zeigen, dass es keinen geschlechtersignifikanten Unterschied beim Multitasking gibt.

Für Führungskräfte gehören stetige Unterbrechungen zum Alltag, sie haben immer mehrere Bälle in der Luft. Wie schaffen die das dann überhaupt?

Unterbrechungen sind ganz einfach etwas anderes als Multitasking. Während wir beim Multitasking versuchen, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu bearbeiten, zeichnet Unterbrechungen aus, dass plötzlich und oft unerwartet eine neue Anforderung von außen kommt, die uns aus der aktuellen Handlung abrupt herausholt. Ich muss mich gedanklich kurzfristig auf etwas Neues einstellen und danach wieder neue Konzentration für die vorherige Aufgabe finden. Auch dies ist, wenn es zu häufig passiert, belastend. Führungskräfte, die für ihre Mitarbeiter ansprechbar sein möchten, sollten häufige Unterbrechungen in ihren Arbeitsalltag einplanen und sie als Kern ihrer Führungsaufgabe begreifen. Oder wenn es überhandnimmt, stärker steuern, also mehr Jour-fixe-Termine mit den Mitarbeitern vereinbaren, damit Rückfragen zeitlich besser planbar werden.

Die Digitalisierung sollte unseren Arbeitsalltag eigentlich erleichtern – inzwischen haben aber viele das Gefühl, dass gerade sie Multitasking erforderlich macht. Wie kann man Abhilfe schaffen?

Ich glaube, dass wir vor allem den Umgang mit den digitalen Helfern lernen müssen. Es braucht eine unheimliche Selbstdisziplin, um sich nicht davon vereinnahmen zu lassen. Deshalb ist es notwendig, sich ganz bewusst zu überlegen: Wie oft am Tag schaue ich eigentlich auf mein Handy? Und muss ich wirklich den ganzen Tag mein E-Mail-Postfach geöffnet haben?

Was für einen Umgang schlagen Sie vor?

Früher genügte es, einmal am Tag den Briefkasten zu leeren. Warum sollte es dann heute nicht reichen, die E-Mails zu bestimmten Zeiten und nur zwei- oder dreimal am Tag abzurufen? Und dann auch wirklich nichts anderes nebenbei zu machen.

Wie kann ein Arbeitgeber Multitasking verhindern?

Wichtig sind Priorisierungen. Die Führungskraft sollte sich immer fragen: Muss ich die Aufgabe sofort erledigen, weil sie dringend ist? Oder kann ich sie auf einen späteren Zeitpunkt verschieben? Oder noch besser: Kann ich die Aufgaben delegieren oder extern auslagern? Und manchmal auch: Ist die Erledigung der Aufgabe wirklich notwendig und zielführend? Was ist unsere Zielsetzung? In der Schnelle und Dichte digitaler Kommunikation kommt es meiner Meinung nach oft zu unnötigen Arbeitsprozessen, die ein bekannter Psychologe neulich „Scheinerledigungen“ genannt hat.

Es gibt aber auch viele Beschäftigte, die die Struktur ihres Arbeitsalltages gar nicht selbst bestimmen können. Hier sind dann ebenfalls die Führungskräfte gefragt, oder?

Genau, das erfordert dann Absprachen im Team oder im gesamten Unternehmen. In der Praxis zeigt sich häufig, dass Stress bei den Mitarbeitern dann entsteht, wenn sie nicht wissen, was ihr Vorgesetzter eigentlich von ihnen erwartet. Wenn der Chef beispielsweise abends um 20 Uhr noch eine Arbeitsaufgabe verschickt, erwartet er dann, dass die am nächsten Morgen erledigt ist? Eine sehr einfache Lösung ist es, den Vorgesetzten einfach zu fragen.

Und was, wenn der Mitarbeiter das nicht macht?

Es gibt viele Anzeichen, auch ohne Worte zu merken, dass die Mitarbeiter unter Druck stehen. An einer gestressten Kommunikation beispielsweise oder wenn die Mitarbeiter anfangen, Mittagspausen ausfallen zu lassen. Das Wichtigste ist, ein Vertrauensverhältnis im Team zu schaffen, in dem die Mitarbeiter sagen, wenn ihnen die Aufgaben zu viel werden. Noch bevor sie versuchen, alles gleichzeitig zu erledigen.

Mehr Infos

Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – psyGA

Das Projekt Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt (psyGA) der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert. Unter dem Motto „Kein Stress mit dem Stress“ bietet psyGA praxisnahe Materialien zum Thema psychische Gesundheit für Unternehmen und Organisationen aller Branchen und Größen, die sich gleichermaßen an Beschäftigte sowie an Personalverantwortliche bzw. Führungskräfte richten. Die Projektleitung liegt beim BKK Dachverband e.V.


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