
Wertschätzung als Erfolgsfaktor
Der Mensch im Mittelpunkt
Engagierte und kreative Mitarbeiter sind überall gefragt – aber nicht leicht zu finden. Unternehmer wie Hartwig Marx bekommen sie – weil sie ihnen mit Wertschätzung begegnen und Entscheidungsspielraum lassen.
Neues Rollenverständnis von Vorgesetzten
Früher durften Chefs erwarten, dass ihre Untergebenen zuverlässig Aufgaben erledigten und ansonsten ihren Mund hielten. Heute werden Mitarbeiter gesucht, die „kommunikativ“ und „konfliktfähig“ sind – das fordert den Vorgesetzten einen anderen Umgang ab. Sie brauchen ein neues Rollenverständnis, eher als unterstützenden Koordinator denn als Alles-noch-besser-Wisser. Hapert es an der Offenheit für diesen Rollenwandel, „kann eine fachliche Spitzenkraft zugleich der schlechteste Chef sein“, warnt Sozialpsychologe Dieter Frey von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Weil sie nicht auf die Menschen und ihre Bedürfnisse eingeht. „Die Kunst besteht darin“, sagt Frey, „Bedingungen zu schaffen, unter denen sich intrinsische Motivation entwickeln kann.“
Motivation von innen
Gemeint ist Motivation, die von innen kommt, die keine Belohnungen braucht. Der Weg dorthin? Der Sinn der Arbeit müsse vermittelt werden. „Warum und wozu wird was gemacht?“ Tätigkeiten müssen als sinnvoll wahrgenommen oder als interessante Herausforderung angenommen werden, zudem bräuchten Menschen Handlungsspielräume, die sie mitgestalten.
„Wertschöpfung durch Wertschätzung“, nennt Frey diesen Ansatz, der beim Outdoor-Anbieter Vaude im oberschwäbischen Tettnang zielstrebig umgesetzt wird. „Die Energie, die freigesetzt wird, wenn Menschen sich für etwas Sinnvolles engagieren können, ist riesig“, sagt Unternehmenschefin Antje von Dewitz. „Es macht mir Spaß, dabei zuzusehen, wie Leute dabei aufblühen.“
Für Dewitz ist Vertrauen die entscheidende Währung. „Wir gehen davon aus, dass alle von sich aus bestrebt sind, die beste Leistung zu bringen.“ Und wenn doch mal etwas schiefgeht? „Fragen wir erst einmal nicht nach persönlichem Versagen, sondern danach, was vielleicht an den Rahmenbedingungen nicht stimmt.“
Wo statt auf Verständnis auf Strafe gesetzt wird, zeigen sich schnell die Konsequenzen: Es wird unmotiviert gearbeitet, und jeder denkt nur an sein persönliches Wohlergehen. Denn Erfahrungen am Arbeitsplatz werden im Frontalhirn als innere Einstellungen und Haltung verankert, sagt Gerald Hüther, Neurobiologe an der Universität Göttingen. „Machen Mitarbeiter die Erfahrung, dass ihnen kaum Verantwortung übertragen wird, dass sie unzureichend wertgeschätzt, womöglich gar verängstigt und unter Druck gesetzt werden, dann hinterlässt das Spuren in ihrem Gehirn“, sagt Hüther. „Ist solch eine Haltung erst einmal entstanden, lässt sie sich nicht durch Argumente, Belehrungen, Bestrafungen und Weiterbildungen verändern.“ Übrigens auch nicht durch Belohnungen.
Selbsttest
Welcher Chef-Typ sind Sie?
Führungsqualität und Wertschätzung im Unternehmen können heute massiv zum Erfolg beitragen. Vielleicht fragen Sie sich selbst manchmal: „Was für ein Chef bin ich?“ Antworten finden Sie in unserem Selbsttest.
Ins Gespräch kommen
An Belohnung durch Wertschätzung fehlt es erkennbar in deutschen Betrieben. Nur jeder zweite Arbeitnehmer bescheinigt seinen Chefs einen wertschätzenden Führungsstil, „mangelnde Anerkennung“ monieren 56,4 Prozent der Befragten in einer INQA-Studie.
Da ist noch Luft nach oben. Wie also zeige ich Wertschätzung? Indem ich alles dafür tue, damit Mitarbeiter ihre Potenziale entfalten können, sagt Neurobiologe Hüther. Und das gehe nur über Kommunikation: ins Gespräch kommen und bleiben.
„Führen bedeutet überwiegend kommunizieren“, sagt auch Sozialpsychologe Frey. Die Ziele müssen vermittelt werden – der Weg dorthin ebenfalls. „Wer nicht kommunizieren kann, sollte keine Führungskraft werden“, sagt Frey und kritisiert, dass sich Manager zu gern an Zahlen, Daten und Fakten orientieren „und zu wenig reflektieren, dass sie von Menschen gemacht werden“.
Hartwig Marx in Düren beschäftigt sich mit seinen Leuten. „Mir ist es wichtig, mich nicht als jemand Besseren zu sehen und jedem von ihnen aufrichtiges Interesse entgegenzubringen.“ Der Dank dafür besteht nicht nur in Loyalität, sondern vor allem in Ideen- und Arbeitsfreude – und damit Produktivität. „Früher haben mir die Menschen gesagt: ‚Klar kannst du Gutes tun, aber damit verdienst du kein Geld‘“, erzählt Marx. „All denen beweise ich Jahr für Jahr das Gegenteil.“
Marx steht nun vor der Frage, ob die Wertschöpfung durch Wertschätzung auch ohne ihn läuft. Er will sich rausziehen aus dem Tagesgeschäft. „Der Laden muss auch ohne mich laufen.“ Mit Mitarbeitern, die in seinem Sinne agieren – aber eigenständig. Aber sind die schon so weit?
Einfach ausprobieren, rät Michael Gammel. So hält er es bei Gammel Engineering schon seit zwei Jahrzehnten. Feste Teams von drei bis fünf Mitarbeitern arbeiten als eigene Profitcenter, wobei die Zahlen natürlich stimmen müssen – und öffentlich sind. „Das ist die Basis, um Vertrauen aufzubauen“, sagt Michael Gammel. Er hat dieses Prinzip eingeführt, um die Fluktuation in seiner Firma zu senken. Seitdem seine Mitarbeiter selbst unternehmerisch handeln dürfen, bleiben sie.
Gammel Engineering bietet Ingenieursdienstleistungen vor allem für Energieerzeugung und Gebäudetechnik an, in beiden Branchen passiert fast täglich Neues. Die Ingenieure in Abensberg versuchen, dieses Neue schnellstmöglich in den Griff zu kriegen. „Sie werfen mir den Ball zu“, sagt Gammel. „Meine Aufgabe ist, das weiterzudenken und strategisch einzuordnen: Wie passt das ins Portfolio? Welcher Zielgruppe nützt das?“
Bis aus einer Idee eine Dienstleistung wird, fliegen die Bälle ständig hin und her. „Die Kollegen haben Spaß daran“, sagt er, „und scheuen dann auch nicht die Mühen.“ Zumal sie merken, dass der Firmenchef einen Umgang auf Augenhöhe pflegt. Wozu laut Gammel auch zählt, sich hinterfragen und sogar überstimmen zu lassen.
Das erfordert Größe und Mut. Nicht jede Führungskraft mag sich mit flachen Hierarchien anfreunden und mit Mitarbeitern, die Mitentscheider werden. Wer sich davor ängstigt, dem fehle die Kraft zum Führen, sagt Hartwig Marx. Schließlich gebe er ständig Impulse, stelle Weichen und treibe Projekte voran; die Fäden laufen ja weiterhin bei ihm zusammen. Wenn er Angestellten bei privaten Problemen hilft, Jobs an Bewerber mit miserablen Zeugnissen vergibt und Führungskräfte austauscht, falls die es an Respekt gegenüber Kollegen vermissen lassen, gestaltet er zugleich die Zukunft der Marx Gruppe. „Ganz egoistisch“, findet sich Marx dabei. „Ich mache das ja nicht zuletzt, damit es mir selbst gut geht.“ Und der Firma.

In Kürze
Fünf Fakten zum Thema Wertschätzung
- Nur jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland bescheinigt seinen Chefs einen wertschätzenden Führungsstil.
- Chefs sind heute häufig eher unterstützender Koordinator, denn „Alles-noch-besser-Wisser“.
- Erfahrungen am Arbeitsplatz werden als innere Einstellungen und Haltung verankert. Dann werden Mitarbeiter unmotivert. Und das lässt sich auch durch Bestrafungen oder Belohnungen nicht mehr so leicht ändern.
- Richtige Führung kann die Motivation der Mitarbeiter von innen heraus befeuern. Dafür müssen von diesen Tätigkeiten müssen als sinnvoll wahrgenommen und als spannende Herausforderung angenommen werden.
- Wertschätzend handelt man als Führungskraft, wenn man sich einsetzt, dass Mitarbeiter ihre Potenziale entfalten können. Der wichtigste Schlüssel dafür: Kommunikation, ins Gespräch kommen und bleiben.
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Michael Prellberg
Titelfoto: © Benne Ochs
"Nicht geschimpft ist gelobt genug", "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" - kennen Sie noch weitere Sprüche dieser Art - vielleicht aus eigenem Erleben? Dann kommentieren Sie doch gleich mal hier... Und immer daran denken: "Wer lacht hat noch Reserven!"
Ich selbst habe mit den Ideen von Herrn Prof. Dr. rer.nat. Dr. med. habil. Gerald Hüther (der ein guter Bekannter von mir ist) das eBook geschrieben: "Supportive Leadership/Unterstützende Führung". Vielleicht interessiert den Leser, dass es unter 'Schust' im Verlag www.Bookboon.com kostenlos in deutsch und englisch herunterladbar ist.