Wie sinnvoll sind transparente Gehälter?

Transparente Gehälter beugen Frust vor, sagt Elbdudler-Gründer Julian Vester. Joachim Schledt, Personaler bei Alnatura, hält nichts von zu viel Offenheit.


20.06.2018 - Nadine Osterhues -3 MinutenRichtig führen

Am Ende lag die Lösung in einer Tariftabelle: Alle Gehälter sind bei uns pro Berufsgruppe und Erfahrung ablesbar. Dabei unterscheiden wir die Erfahrungslevel Junior, Intermediate und Senior. Wer eine bessere Leistung bringt, steigt schneller auf.

Die Gehälter an sich sind nicht verhandelbar. Wir diskutieren aber gern noch mal über die Einstufung des Erfahrungslevels, meistens wird das bei uns jedoch über die Anzahl der Berufsjahre bestimmt.

Der Preis für die Fairness und Transparenz ist, dass man nicht individuell auf jeden Mitarbeiter eingehen kann. Der Vorteil ist, dass wir keine geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede haben. Dass wir jedes Jahr automatisch das Gehalt erhöhen und so garantieren, dass auch introvertierte Mitarbeiter eine Lohnerhöhung bekommen. Und dass wir kein starres System pflegen. Wir überlegen uns jeden Tag neu, wie sich das Modell noch optimieren lässt.“

Contra

„Zu viel Offenheit führt zu Unzufriedenheit“

Beim Lebensmittel-Unternehmen Alnatura wurde bisher nicht offen über Gehälter gesprochen. Personaler Joachim Schledt glaubt, dass Diskretion für den Einzelnen ganz wichtig ist.

„Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch immer gut. Vielen Menschen in unserem Land fällt es nicht leicht, souverän und locker über das eigene Einkommen zu reden. Das sollte man respektieren. Ich glaube, dass eine Offenlegung der Gehälter zu mehr Unzufriedenheit in den Unternehmen führt, weil es einfach viel zu viele Angriffsflächen bietet.

Vergleichen Arbeitnehmer die Gehaltsdaten ihrer Kollegen mit ihren eigenen, besteht immer die Gefahr, dass sie sich ungerecht behandelt fühlen. Aus meinen Erfahrungen als Personaler kann ich sagen, dass Mitarbeiter sich meistens mit denen vergleichen, die mehr verdienen als sie – ob die nun in einer ganz anderen Position arbeiten oder nicht. Wer sich als ,gleichwertiger Performer‘ empfindet, nimmt Gehaltsunterschiede dann als ungerecht wahr.

Nun ist es da, das Entgelttransparenzgesetz: Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern dürfen seit ein paar Wochen erfahren, was ihre Kollegen verdienen. Was spricht für das Gesetz und was dagegen?

Pro

„Mehr Transparenz sorgt für weniger Frust“

In der Hamburger Digitalagentur Elbdudler weiß jeder, was der andere verdient. Für Gründer Julian Vester gehört das offene Modell zur Firmenphilosophie.

Julian Vester Elbdudler
© Elbdudler - Julian Vester ist Gründer der Hamburger Digitalagentur Elbdudler.

„Bei uns sind alle Zahlen transparent, auch das Gehalt. Wenn Mitarbeiter das Gehalt ihrer Kollegen nicht kennen, denken Sie doch im Zweifel, dass sie schlechter bezahlt werden als die anderen, und sind frustriert. Das gibt es bei uns nicht.

Wir haben im Laufe der Firmengeschichte viel herumprobiert, bis wir ein passendes System gefunden haben. Unter anderem testeten wir ein kommunistisches Modell, bei dem jeder das gleiche Gehalt bekommt. Das funktionierte aber nicht. Irgendwann fragte jemand nach einer Gehaltserhöhung, und dann hätten wir allen eine geben müssen. Also fragte ich meine Mitarbeiter: ,Ich habe keine Ahnung, wie das geht, aber wollen wir uns gemeinsam ein funktionierendes und transparentes Gehaltssystem ausdenken?‘ Die Mehrheit war dafür.

Werden Gehälter zu transparent, vielleicht sogar branchenübergreifend und für jeden sichtbar, dann vergleichen sich manche sogar mit Kollegen aus ganz anderen Berufen oder Unternehmen. Das führt zu nichts, denn die Bezahlung erfolgt ja immer abhängig von der Branche oder der Region: Der IT-Markt ist ein anderer als der für Ökotrophologen, das Gehaltsgefüge in München ein anderes als in Görlitz. Solche Aspekte spielen in der Gehaltsfindung eine große Rolle.

Joachim Schledt Alnatura
© AlnaturaJoachim Schledt ist Personaler bei Alnatura.

Dass Transparenz zu einer faireren Vergütung führt, weil die erbrachte Leistung dadurch objektiver beurteilt werden kann, ist für mich eine fadenscheinige These, da normalerweise kein Abgleich von individueller Leistung und Gehalt erfolgt, sondern nur ein Vergleich mit anderen. Auch glaube ich nicht an die Behauptung, dass Unzufriedenheit bei den sich Vergleichenden konstruktive Energien freisetzt und Klarheit schafft, sondern eher Anlass für noch mehr Diskussionen ist.

Bei Alnatura machen wir Gehälter nicht gegen den Willen der Mitarbeiter transparent. Das passiert nur vereinzelt in Teams, die das auch wünschen.“


Titelfoto: © Iconica/Getty Images