Fachkraft gesucht - im Ausland gefunden

Wer heute ausländische Arbeitskräfte rekrutiert, wirkt drohenden Personalengpässen entgegen. Warum nicht nur die kulturelle Bereicherung unbezahlbar ist.


18.08.2015 - Esther Werderinghaus -9 MinutenZukunft der Arbeit

Wer heute ausländische Arbeitskräfte rekrutiert, kann drohenden Personalengpässen entgegenwirken. Die kulturelle Bereicherung für das Unternehmen ist unbezahlbar, wie zwei Beispiele zeigen.

Sourena Jabbehdari streift mit traumwandlerischer Sicherheit durch den verschachtelten Firmenkomplex. „Hi, Sourena“, grüßen ihn die Kollegen, der Iraner lächelt ­zurück. Die Softwarefirma dSPACE in Paderborn mit 850 Mitarbeitern ist sein Revier. Der 33-Jährige arbeitet hier seit 2012 als Elektroingenieur – neben deutschen Kollegen, Italienern, Spaniern und Portugiesen. Jabbehdari kam vor zwei Jahren aus Turin, wo er seinen Doktortitel als Elektroingenieur erworben hat.

dSPACE lebt vor, wie eine multinati­o­nale Belegschaft harmonieren kann. Doch Migranten sind in vielen deutschen Firmen eine Seltenheit. Lange lief die Personalsuche im Inland ja auch gut. Doch personelle Engpässe machen sich heute branchenübergreifend bemerkbar: Es mangelt nicht nur an hoch qualifizierten Kräften wie Ärzten oder Ingenieuren. Auch Techniker, Installateure, Klempner, ­Alten- und Krankenpflegekräfte oder Lokomotivführer werden dringend ­ge­sucht. Ohne steigende Einwanderung fehlen nach Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 2025 rund 3,5 Millionen Erwerbspersonen.

dSPACE und Sourena Jabbehdari kamen über die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) in Bonn zusammen. Wer als Arbeitgeber in Deutschland Bedarf hat, kann sich an den ­Arbeitgeber-Service seiner Agentur vor Ort wenden. Wenn sich bundesweit keine passenden Bewerber finden, unterstützt die ZAV den örtlichen Arbeit­geber-Service bei der Suche. Sie hat den internationalen Arbeitsmarkt im Blick, arbeitet bei der Vermittlung von Fachkräften mit den Arbeitsmarktservices anderer Länder zusammen und verfügt so über einen wertvollen Bewerberpool, an den deutsche Firmen nicht ohne ­Hilfen kommen würden. dSPACE erhielt Bewerbungen aus Mailand und Turin. Zwei Tage lang fuhr eine kleine Delegation der Firma nach Italien und führte die Bewerbungsgespräche. Einer der Bewerber, die Personalleiter Harald Wilde sofort aufnehmen wollte, war Sourena Jabbehdari. „Wir waren von seinem Uni-Abschluss beeindruckt, er wirkte offen, freundlich und hatte auch schon in einem Unternehmen gearbeitet“, sagt Wilde. „Vor allem hatten wir aber den Eindruck, dass er auch wirklich nach Deutschland kommen möchte.“ Die ­Firma finanzierte einen Sprachkurs, besorgte ihm eine Übergangswohnung und tat viel, damit er und andere Kan­didaten sich wohlfühlen. Sie organisierten Sommerfeste, monatliche Stamm­tische, Radtouren mit der Abteilung. Ins Team arbeitete sich Jabbehdari auf diese Weise sehr schnell ein. Die Firma stellte ihm zudem einen Mentor zur Seite. Heute ist dieser Kollege Jabbehdaris bester Freund in Paderborn.

Sourena Jabbehdari zeigt seinen Arbeitsplatz
© Julia Unkel - Seine Fähigkeiten haben ihm die Türen geöffnet: Sourena Jabbehdari vor der dSPACE-Zentrale in Paderborn

Suchen und Finden

Das Rekrutieren im Ausland ist – ohne Expertenrat – nicht immer leicht, aber lohnenswert. Eine qualifizierte Kraft kann durch ihr Fachwissen, ihre Sprach-, Markt- und Produktkenntnisse aus dem Heimatland viele wichtige und neue Impulse in den Betrieb bringen. Interkulturelle Kompetenzen werden immer wichtiger. Eine vielfältige ­Be­legschaft liefert Erfahrungsschätze, verschiedene Denkweisen und breites Wissen. All das steigert das Innovationspotenzial in Unternehmen.

Immer mehr deutsche Unternehmen empfangen qualifizierte Fachkräfte bereits mit offenen Armen und rekrutieren Nachwuchs längst in der gesamten EU. Wer sich als Arbeitgeber neu für ausländische Fachkräfte öffnen und sich darüber informieren möchte, findet bei der Agentur für Arbeit Unterstützung (siehe Infografik).

2013 kamen fast 884.000 Menschen aus dem Ausland hierher, was Deutschland nach den USA zur Nummer zwei der beliebtesten Zielländer macht. Dabei stammen fast zwei von drei Neuein­wanderern aus der Europäischen Union. Diese ziehen jedoch häufig schnell weiter oder wieder zurück in ihre meist südeuropäischen Heimatländer – insbesondere wenn sich die dortige Wirtschaft wieder erholt. Hinzu kommt, dass Europa insgesamt altert und Deutschland deshalb seinen Fachkräftebedarf nicht durch Einwanderung allein aus EU-Ländern wird lösen können.

Chancen durch Flüchtlinge

Gleichzeitig werden in derzeit keinem anderen Land der Welt so viele Asyl­anträge gestellt wie hier. Auch durch diese Geflüchteten gewinnt der Arbeitsmarkt – denn auch unter ihnen finden sich Fachkräfte.

Asylsuchende, die voraussichtlich längere Zeit oder dauerhaft in Deutschland bleiben, können durch das Pilotprojekt „Early Intervention“ der Bundes­agentur für Arbeit und des Bundesamtes für Migration in den Arbeitsmarkt integriert ­werden. Sie erhalten Deutsch­kurse, ein Bewerbungstraining und ab­solvieren ein Berufspraktikum. Die Projekt­mitarbeiter besorgen und übersetzen Dokumente zu Bildungsstand und Beruf aus ­dem Herkunftsland und sorgen dafür, dass die Abschlüsse an­erkannt werden. Krankenpfleger, Tischler, Bibliothekare oder Elektrotechniker – manche ­brauchen zur Anerkennung noch ­Zusatzlernmodule für die deutschen Standards. Vor Kurzem hat die Bundesregierung die Wartezeit, bis ­das Arbeitsverbot entfällt, von neun auf drei Monate verkürzt und es Asyl­suchenden damit erheblich erleichtert, Fuß zu fassen.

Ein Aufwand, der sich lohnt

Integration – darum geht es auch ­Gerold Brunken. Er ist kaufmännischer Leiter und Personalverantwortlicher der Fürstenwalder Firma Reuther STC GmbH. Das Unternehmen stellt Stahlrohrtürme und Komponenten für Windkraftanlagen her. Bewerbungen? Sind Mangel­ware. Aber was ist denn mit den Geflüchteten im Fürstenwalder Heim für Asylsuchende? Könnten nicht sie für den Job als Schweißer infrage kommen? 14 motivierte, junge Männer zwischen 18 und 32 Jahren aus Somalia, Kamerun, Afghanistan und dem Tschad meldeten sich. Erst mal für ein Praktikum. „Letztendlich mussten sie sich auch vorstellen können, dauerhaft in Fürstenwalde zu leben“, berichtet Brunken. „Falls es gut läuft, würden zwei Seiten profitieren: Wir hätten selbst angelernte Schweißer, und die Asylsuchenden hätten sich in den Arbeitsmarkt integriert“, so dachte Brunken zuerst.

Reuther STC übernahm den Großteil der 20.000 Euro Kosten. Deutsch-Intensivkurs, Grundlagentheorie in der ­Metallwerkstatt. Neun Wochen lang standen die jungen Asylsuchenden ­wochentags ab sieben Uhr früh an ­der Werkbank, am Sonntag hatten sie zudem noch jeweils sechs Stunden Deutsch, wo es um Fachbegriffe der Schweißtechnik ging. Zwischendurch immer wieder Praktikumseinheiten in der Firma. „Wir waren unglaublich ­zufrieden“, sagt Brunken, „die haben wahnsinnig Gas gegeben, waren hoch motiviert und hatten eine super Einstellung zum Job – das erlebt man nicht so oft“. Nach drei Monaten erhielten zwölf von ihnen ein Zertifikat. „Vier von ­ihnen haben wir in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Es ist wirklich an ­der Zeit, dass auch in Deutschland nach kreativen Lösungen gesucht wird – weniger Bürokratie, mehr Toleranz bei der Auswahl der Bewerber“, so Brunken.

Asylsuchende sind oft nicht die Ersten, für die sich Unternehmen entscheiden. Für Fachkräfte aus Drittstaaten ist der Zuzug einfacher. Sie profitieren von ihren zertifizierten Fähigkeiten und fassen schneller Fuß im Arbeitsmarkt, zumal unter anderem die Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungs­abschlüsse erleichtert wurde. Um zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen, gibt es mittlerweile verschiedene Möglichkeiten – einige Hürden bestehen weiter fort. Fachkräfte aus Drittstaaten, die einen Berufsabschluss in einem Mangelberuf haben, können über die Beschäftigungsverordnung einwandern, soweit ihnen ein Jobangebot vorliegt. Akademiker aus Drittstaaten haben es noch etwas leichter: Für sie gibt es die EU-Blue-Card, die ihnen den Aufenthalt in der EU „zum Zwecke der Erwerbstätigkeit“ – zunächst befristet auf vier Jahre – gewährt, soweit sie ein bestimmtes Jahresmindestgehalt erzielen.

Seit Ein­führung der Blauen Karte 2012 haben 21.983 Akademiker aus Drittstaaten das Dokument erhalten. Das macht Deutschland EU-weit zum Spitzenreiter. Doch selbst 10.000 Blue Cards pro Jahr sind eine geringe Zahl, wenn Deutschland aus demografischen Gründen jährlich im Saldo mindestens 400.000 Zuwanderer benötigt.

Die Evangelische Heimstiftung in Stuttgart hat bessere Erfahrungen ­gemacht. In den vergangenen Jahren hat die Einrichtung immer wieder ganze Gruppen von ausländischen Pflegefachkräften eingestellt. In 81 stationären und weiteren Pflegeeinrichtungen arbeiten um die 7.200 Mitarbeiter für 10.300 Menschen. Personelle Engpässe gibt es immer wieder. So geht es vielen dieser Einrichtungen.

Um Pflegekräfte von außerhalb der EU zu gewinnen, hat die ZAV deshalb gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) das Projekt Triple Win initiiert. Derzeit werden damit Pflegefachkräfte aus Serbien und Bosnien-Herzegowina, von den Philippinen sowie demnächst aus Tunesien für eine Tätigkeit in Deutschland gewonnen und qualifiziert. Marion Aichele, die bei der Stuttgarter Heimstiftung für Personalfragen zuständig ist, hörte von ­einem weiteren Projekt der ZAV, ­im Rahmen dessen chinesische Pflegefachkräfte gewonnen werden. Die Geschäftsführung war gleich begeistert. Denn die Kollegen aus dem Fernen Osten hatten ein Pflegestudium absolviert, verfügten über praktische Erfahrungen und erste Deutschkenntnisse. Zwar mussten die Zertifikate in Schulungsprogrammen an das deutsche Niveau angeglichen und Deutschkurse besucht werden. Doch Aichele zufolge lohnt sich der Aufwand. „Die ausländischen Pflegefachkräfte sind sehr wertvoll für uns – sie sind verantwortungsbewusst und freundlich.“ Das empfinden auch die ­Betreuten so.

Kurzprofil

Die dSPACE GmbH
dSPACE GmbH ist ein Technologieanbieter mit weltweit 1200 Mitarbeitern und einem Stammsitz in Paderborn. Das Unternehmen entwickelt Werkzeuge und Simulatoren für die Entwicklung und Kontrolle elektronischer Steuerungseinheiten im Fahrzeugbau – dSPACE steht für Digital Signal Processing And Control Engineering. 1987 gegründet, gehört dSPACE heute zu den weltweit führenden Anbietern von Werkzeugen für die Entwicklung und den Test mechatronischer Regelungssysteme. Überall auf der Welt, wo Ingenieure an den Autos und Flugzeugen der Zukunft arbeiten, ist dSPACE mit von der Partie. Das Unternehmen unterhält in Deutschland mehrere Zweignieder­lassungen in der Nähe aller großen Automobilhersteller sowie Tochterunternehmen in den USA, Großbritannien, Frankreich, Japan und China. An der Firmenspitze steht seit Beginn Herbert Hanselmann, Gründer von dSPACE.
 

Zentrale dSpace Außenansicht
© Julia Unkel - dSpace sitzt im ostwestfälischen Paderborn.

Großbaustelle Pflege

Experten gehen davon aus, dass in der älter werdenden deutschen Gesellschaft bis 2025 zwischen 150.000 und 370.000 zusätzliche Pflegekräfte gebraucht werden. Doch nur ein Sechstel der Pflege­betriebe hat versucht, im Ausland zu rekrutieren. Zu aufwendig, zu teuer, zu hohe Hürden, lauten die Begründungen. „Das liegt auch an den Problemen, ­von denen Unternehmen berichten, die bereits im Ausland ihre Fühler nach Pflegekräften ausgestreckt haben“, sagt Ulrich Kober, Migrationsexperte der Bertelsmann-Stiftung. 83 Prozent der befragten Betriebe stießen auf bürokratische Hemmnisse, „67 Prozent auf Probleme bei der Anerkennung von Quali­fikationen“. Und wer jenseits der EU um Arbeitskräfte warb, so Kober, hatte häufig Probleme mit der Einwanderungs­erlaubnis.

Paten zur Seite stellen

In zwei Pflegeeinrichtungen arbeiten heute insgesamt zehn chinesische Pflegefachkräfte. Man verständigt sich mit Hand und Fuß, wenn mal nicht klar ist, was gemeint ist. „Doch dann lassen sich alle auf das Tempo des anderen ein ­und lernen voneinander“, sagt Aichele. Wichtig für die alten Menschen ist vor allem, dass jemand da ist, ihnen zuhört und versucht zu verstehen, was sie brauchen. Die chinesischen Kollegen sollten sich von Anfang an wohlfühlen – bei der Arbeit und in ihrer neuen Umgebung. „Wir haben den Mitarbeitern jeweils einen Paten zur Seite gestellt“, erklärt die Personalbeauftragte. „Wir wollten möglichst genau wissen, wie es ihnen geht und was sie brauchen.“ Zunächst kamen dabei ganz triviale Dinge heraus, wie etwa Fahrräder, um zur Arbeit oder zum Einkaufen in ­asiatische Läden zu fahren. Integration heißt eben auch, Empathie zu lernen.

Harald Wilde von dSPACE erinnert sich auch an Widerstände innerhalb der Belegschaft, als die ersten Ausländer rekrutiert wurden. „Manchen war es nicht immer recht, wenn Sitzungen auf Englisch gehalten wurden, manchmal saß das Englisch nicht mehr so gut“, sagt er. „Einzelne mutmaßten, die ­Ausländer würden aus Kostengründen rekrutiert. Sie erhalten aber das volle Gehalt. Wir rekrutieren im Ausland, weil wir im Inland nicht genug Arbeitskräfte finden.“ Absolventen naturwissenschaftlicher Fächer seien in Deutschland schon fast eine Rarität.

In Paderborn geht Sourena Jabbehdari manchmal ins Café am Flugplatz Haxterberg. Dort denkt er dann an ­Teheran, die Stadt, in der seine Familie lebt. „Sie fehlt mir“, sagt Jabbehdari, „aber selbst wenn immer eine Art Sehnsucht bleibt, kann ich mir gut vorstellen, in Deutschland eine zweite Heimat zu finden.“


Titelfoto: © Julia Unkel