YouTube als Sprachrohr

Kundenberatung per Video: wie der Möbelhersteller Helm Design mit einem Marketing- und Digitalisierungsplan mehr Aufträge bekommt.


21.09.2022 - Barbara Domschky -6 MinutenZukunft der Arbeit

Zuletzt aktualisiert: 06.06.2023

Weniger Arbeitsaufwand, mehr Aufträge, stabiles Wachstum: Mit einem Digitalisierungsplan entwickelte Daniel Helm, Tischlermeister aus Troisdorf in der Nähe von Köln, seinen Betrieb von einer klassischen Tischlerei zur exklusiven Möbelmanufaktur. Sein Rezept: automatisierte Marketing- und Arbeitsprozesse, mit deren Hilfe die Aufträge beinahe von allein kommen.

Eigentlich hatte Daniel Helm um Computer immer einen großen Bogen gemacht. Von einer angemieteten Garage aus hatte der Tischlermeister seine ersten Aufträge angenommen – Türen, Treppen, Reparaturen, eben klassisches Tischlerhandwerk. Dann kaufte er sich 2008 seine erste CNC-Fräse und musste notgedrungen eine Schulung für computergesteuerte Holzverarbeitung belegen. Dabei merkte er, wie viel einfacher seine Arbeit damit wurde. Diese computergesteuerten Maschinen („Computerized Numerical Control“, kurz CNC) wechseln ihre Werkzeuge automatisch, können unterschiedliche Arbeitsanforderungen in einem Durchgang erfüllen und verhindern damit, dass Arbeits- und Produktionsabläufe durch Umbau oder Umrüsten der Maschine unterbrochen werden müssen. Heute gehört digitale Technik längst zum Alltag von Daniel Helm: In seiner Möbelmanufaktur Helm Design sind mittlerweile fast 90 Prozent der Arbeitsprozesse dank moderner Software automatisiert.

YouTube als Sprachrohr

Sein Wissen und seine Erfahrung über Prozessautomatisierung und Onlinemarketing im Handwerk teilt Helm in Coaching- und Beratungsseminaren mit Interessierten aus den unterschiedlichsten Gewerken. Die Videos seiner Vorträge werden auf der Website oder dem firmeneigenen YouTube-Kanal geteilt. Alle drei Wochen wird ein neues Video auf YouTube hochgeladen, in dem der Firmenchef seine Zuschauer:innen persönlich durch den Firmenalltag begleitet. Neben Einblicken in den Produktionsalltag oder Team-Sportevents zeigt Helm die unterschiedlichen Interieur-Projekte, die er mittlerweile auch international realisiert: High-End-Küchen, Ankleiden oder ganze Wohnräume, von der Kölner Eigentumswohnung bis zur Finca auf Mallorca.

Drei Viertel des Umsatzes über Social Media

Die meisten Videos werden über 1.000-mal angeschaut, eine Rundtour durch eine maßgefertigte Ankleide sogar über 18.000-mal. YouTube ist das Sprachrohr der Firma und ihre beste Werbeplattform: „Rund 30 Prozent meiner Aufträge kommen über YouTube, Tendenz steigend“, so Helm. Noch mal ungefähr genauso viele über Instagram, Tendenz eher fallend. Fünf bis zehn Prozent der Verkäufe werden über Facebook generiert. Insgesamt fast drei Viertel seines Umsatzes macht Helm Design also über Social Media, das restliche Viertel sind Empfehlungen oder Stammkund:innen. Früher hat der Chef sein Onlinemarketing noch selbst übernommen. Heute ist dafür die hausinterne Marketingagentur mit zwei Mitarbeitenden zuständig, die sich neben Videodrehs und Marketing vor allem um Beratung und Coaching interessierter Kolleg:innen aus der Branche kümmern. „Wir beraten andere Handwerksfirmen mit unserer Expertise in der Digitalisierung“, so Helm.

„Für jeden eingesparten Arbeitsplatz schaffen wir mehrere neue“

Daniel Helm
©Daniel Helm - Daniel Helm, Geschäftsführung und Inhaber der Helm Einrichtung GmbH

Der große Durchbruch der Möbelmanufaktur kam 2012, nachdem das WDR-Fernsehen 2012 seine selbst ausgestattete Eigentumswohnung als „modernste Wohnung von ganz Köln“ vorgestellt hatte. Danach stieg die Zahl der Aufträge rasant, und bereits vier Jahre später musste die Firma von 600 auf 1.200 m² – dem heutigen Showroom – vergrößert werden. Das Problem: Trotz seines hohen Zeiteinsatzes von bis zu 60 Stunden pro Woche konnte Helm viele Aufträge nicht annehmen, da die Kund:innen meist nicht Wochen auf einen Beratungstermin warten wollten. Er suchte nach Lösungen und fand sie schließlich in einem Marketing- und Digitalisierungsplan, mit dem mittlerweile nicht nur die Kundenberatung, sondern auch fast 90 Prozent der Arbeitsprozesse automatisiert wurden. Durch die Automatisierung werden zwar in der Beratung Arbeitsplätze eingespart, aber: „Für jeden eingesparten Arbeitsplatz in Beratung und Verkauf schaffen wir mehrere neue in der Produktion und Auftragsabwicklung“, erklärt Helm. 28 Mitarbeitende arbeiten mittlerweile im Unternehmen daran, auch in Zukunft weiterzuwachsen.

Automatisierte Video-Beratung: fast wie im Showroom

Konkret sieht die Suche auf der Website nun so aus: Die Kund:innen wählen die gewünschte Produktkategorie aus, beispielsweise eine Ankleide. Auf der Unterseite gibt es ein Einführungsvideo über verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten und ein Fenster, in das sich die Kund:innen per E-Mail für ein Beratungsvideo eintragen können. Innerhalb kürzester Zeit landet das individualisierte Video im E-Mail-Postfach, und darin geht Daniel Helm – fast wie bei einem Beratungstermin vor Ort – auf viele häufig gestellte Fragen aus der Kundenberatung ein. Der persönliche Kontakt mit den Kundenberatenden steht erst ganz am Schluss des Prozesses – also dann, wenn die Entscheidung für ein Produkt schon getroffen wurde und es nur noch um Details geht. „Die Kund:innen können sich ganz entspannt nach Feierabend auf dem Sofa durch ein großes Büfett an Videos klicken“, so Helm.

Persönliche Ansprache schafft Vertrauen

Fast ganz nebenbei werden dabei auch Kund:innen aufgenommen, die Helm Design sonst nicht erreichen würde. Denn die Auswertung der Besucherzahlen der Website hatte zuvor ergeben, dass von beispielsweise 3.000 Besuchenden oft weniger als zehn einen Kauf abschließen. Mit den automatisierten E-Mail- und Video-Serien kann Daniel Helm die Besonderheiten seiner Möbel, wie etwa Türen oder Schubladen, die per Handdruck ausfahren, anschaulich und auf einen Blick herausstellen. Und schafft durch die persönliche Ansprache des Videos schnell ein Vertrauensverhältnis – ein wichtiger Faktor beim Kaufabschluss. Bei der Kundschaft kamen die E-Mail-Kampagnen von Anfang an gut an. Bereits im ersten Durchlauf kauften viele ihr Produkt schon nach nur knapp zwei Stunden digitaler Beratung, ein Prozess, der vorher mehrere Tage in Anspruch genommen hatte.

Automatisierung auf fast alle Bereiche ausweiten

Nach dem großen Erfolg in der Kundenberatung weitete Helm Design die Automatisierung auch auf andere Bereiche aus. So werden neue Mitarbeitende nun schon vor dem ersten Arbeitstag per Videos mit dem Unternehmen vertraut gemacht. Mit Video-Anleitungen zu allen anfallenden Fragen von A wie Arbeitskleidung bis W wie Werkstatt oder einfach nur dazu, wo es in der Nähe die besten Pommes gibt, lernen sie das Unternehmen virtuell schon vor ihrem ersten Arbeitstag kennen und können schneller in die Produktion einsteigen.

Momentan arbeitet Helm Design an einer Video-Serie, in der alle Hightechmaschinen erklärt werden. Per QR-Code können die Mitarbeitenden das passende Video zu ihrer Frage oder dem Problem anschauen. Auch hier werden wieder Zeit und Nerven eingespart, da man nicht wie früher die Kollegenschaft fragen oder lange Zeit in der Warteschleife eines Callcenters vergeuden muss – alles Hindernisse, die zu teilweise extremen Verzögerungen in der Prozesskette führen können.

IHK-Auszeichnung: Social Media ist im Handwerk noch nicht angekommen

So viel digitaler Einsatz ist für ein klassisches Handwerk wie das der Tischlerin oder des Tischlers noch eher ungewöhnlich. 2018 wurde Helm Design dafür von der IHK Bonn/Rhein-Sieg mit dem Mittelstandspreis Ludwig in der Kategorie Marketing ausgezeichnet. Helm Design setze Trends in der Vermarktung ihres Möbeldesigns, denn gerade Social Media sei im Handwerk lange noch nicht überall angekommen, so die Begründung der IHK.

Dabei müsse es ja gar nicht gleich eine komplizierte Software sein, rät Helm Handwerksbetrieben, die ihr Onlinemarketing ausbauen wollen. Man könne auch erst einmal ganz einfach anfangen: ein Fenster auf der Internetseite, dazu automatisch ein Video und eine Anleitung – fertig. Das sei schnell umgesetzt, habe aber schon einen großen Mehrwert. Es sei vor allem wichtig, sich mit den Maßnahmen identifizieren zu können. Und alle Mitarbeitenden müssten mitwirken, damit das Ganze auf mehreren Schultern verteilt sei, ist der Marketingexperte überzeugt. Denn – Prozessautomatisierung, Onlinemarketing und E-Mail-Kampagnen hin oder her – er weiß: „Handwerk ist vor allem Teamarbeit.“

Hier geht’s zur Website von Helm Design


Titelfoto: © iStock/Drbouz