Der „unsichtbare“ Erfolgsfaktor

Barrierefreiheit macht den Alltag von Schwerhörigen und Sehbehinderten sowie motorisch eingeschränkten Menschen einfacher. Das gilt nicht nur für Gebäude, sondern auch fürs Internet.


17.01.2018 - Esther Werderinghaus -3 MinutenArbeitswelt gestalten

Jana Verheyen ist eine von vielen Internetnutzern, die barrierefreie Webangebote brauchen. Doch was heißt Barrierefreiheit im Netz überhaupt? Und warum profitieren auch Unternehmen davon? Das Projekt „BIK für Alle“ klärt auf und unterstützt die effiziente Umsetzung mit Leitfäden und Barrierefreiheits-Tests.

Der Internetauftritt ist das Aushängeschild vieler Unternehmen – und oft voller digitaler Barrieren. „Bedauerlich“, sagt Jana Verheyen, „denn damit sind Webangebote für eine große Zielgruppe unbrauchbar: Menschen mit Behinderungen oder altersbedingten Einschränkungen.“ Verheyen hatte im Alter von 20 Jahren einen Hörsturz und verlor zunehmend an Hörfähigkeit. Heute berät und coacht sie Privatpersonen zum Thema Schwerhörigkeit, hat ein eigenes Hörtraining entwickelt und ist täglich im Internet. Dabei stößt sie regelmäßig auf Barrieren, etwa wenn eingebundene Videos nicht untertitelt sind.

Testimonial Barrierefreiheit im Internet
© Privat - Jana Verheyen weiß seit ihrem Hörsturz, wie wichtig barrierefreies Internet ist.

Mit ihrer Forderung nach Barrierefreiheit ist Verheyen nicht allein. Im Web bewegen sich viele Menschen mit individuellen Voraussetzungen und Anforderungen, zum Beispiel blinde und sehbehinderte Menschen oder Nutzer mit motorischen oder kognitiven Beeinträchtigungen. Und alle profitieren von barrierefreien Angeboten. Und auch die Anbieterseite profitiert: Denn wer Barrierefreiheit umsetzt, hat nicht nur alle Nutzer im Blick, sondern auch ein Webangebot, das auf gute Bedienbarkeit und Verständlichkeit setzt und besonders suchmaschinenfreundlich ist.

„Viele kennen Barrierefreiheit von Gebäuden, aber nur wenige bringen sie mit dem Web in Verbindung“, berichtet Heike Clauss von „BIK für Alle“, „deshalb informieren wir, gemeinsam mit starken Partnern aus Wirtschaft und Verbänden, über die Vorteile barrierefreier Webangebote.“ Das Projekt „BIK für Alle“ wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert, um für Barrierefreiheit im Web zu sensibilisieren und Umsetzungswege aufzuzeigen. Projektpartner ist auch die Bundesagentur für Arbeit. Ziel der Zusammenarbeit ist es, Betriebe aufzuklären und auf die Praxishilfen von „BIK für Alle“ hinzuweisen.

Die Informationsplattform www.bik-für-alle.de bietet wertvolle Informationen rund um barrierefreies Webdesign, etwa Leitfäden speziell für Webseiten-Anbieter und Online-Redakteure oder eine dreiteilige Webinar-Reihe, die man sich jederzeit online ansehen kann. Auch Barrierefreiheits-Tests helfen bei der barrierefreien Gestaltung von Webangeboten: Sie machen Barrierefreiheits-Anforderungen handhabbar und vermitteln eine Menge Know-how für die Entwicklung barrierefreier Angebote. So unterstützt das Projekt alle, die den Erfolgsfaktor eines gut zugänglichen Webangebots erkannt haben und ihren Internetauftritt zukünftig barrierefrei umsetzen wollen.

Interview

Barrierefreiheit für alle

Selbst für kleine Unternehmen bietet sich ein barrierefreies Webdesign der Firmen-Homepage an. Jörg Morsbach von der Düsseldorfer Agentur anatom5 beschäftigt sich seit 15 Jahren mit dieser Art von Relaunch und beantwortet die wichtigsten Fragen.

Faktor A: Warum ist das barrierefreie Web so wichtig?

Jörg Morsbach: Weil immer mehr Alltagstätigkeiten über das Internet stattfinden, gleichzeitig aber immer mehr ältere Menschen und Personen mit Behinderung das Netz nutzen. Der demografische Wandel ist Fakt. Gleichzeitig wird die Zeit der Erwerbstätigkeit immer weiter verlängert. Wie sollen Menschen mit einer fortgeschrittenen Sehbehinderung im Netz arbeiten, wenn Kontraste nicht ausreichen oder die Schriftgröße zu klein und nicht vergrößerbar ist? Wie sollen Menschen eine Maus bedienen, wenn die motorischen Fähigkeiten nicht mehr ausreichen? Ich glaube, ein barrierefreier Zugang zu digitalen Inhalten wird immer wichtiger.

Wie wird ein Relaunch umgesetzt?

Barrierefreies Internet bedeutet, dass eine Internetseite für jeden Benutzer lesbar und bedienbar ist. Das betrifft die technischen Aspekte wie Browser, Betriebssystem, Endgerät und so weiter. Aber auch die inhaltlichen. Nicht nur blinde Menschen, sondern auch Menschen mit motorischen Einschränkungen können häufig keine Computermaus verwenden. Also würde man zum Beispiel eine spezielle Tastatursteuerung entwickeln. Auch Schriftgrößen und Kontraste lassen sich verändern – und für blinde Menschen kann man Internetseiten ebenfalls so entwickeln, dass sie sie vollständig nutzen können: Die Internetseite wird ihnen mit spezieller Software vorgelesen.

Wie finden Unternehmer eine passende Agentur?

Eine Agentur, die sich wirklich mit dem Thema auskennt, erkennt man an guten Referenzen. Es gibt aber auch Experten für barrierefreies Webdesign, die bei der Auswahl helfen können. Wer sich hier richtig informiert, erspart sich in der Folge viel Ärger, denn Erfahrung spielt im Bereich Barrierefreiheit eine sehr große Rolle. Es empfiehlt sich, nach Fertigstellung der Seite einen BIK-Test zu durchlaufen. Das ist ein vom Bund gefördertes Zertifikat für eine barrierefreie Seite. Für Unternehmer ist es ohne Test praktisch unmöglich, zu sagen, ob wirklich alles umgesetzt wurde, was beauftragt wurde. Das ist alles mit komplexen Arbeitsschritten verbunden. Die Funktionsfähigkeit lässt sich durch den Test aber gut nachprüfen.

Wie lange dauert ein solcher Relaunch, und was kostet er?

Der Relaunch einer kleinen Seite kann vier oder fünf Wochen dauern. Komplexere Vorgänge dauern schon mal sechs Monate oder mehr. Klar ist: Barrierefreiheit kostet Geld. Auftraggeber und -nehmer müssen Know-how erwerben, um Barrierefreiheit erreichen zu können. Wenn Kunden nicht wissen, wie sie Internetseiten auf Barrierefreiheit testen können, wer übernimmt dann die Verantwortung? Auch das Personal des Auftraggebers, zum Beispiel die Online-Redaktion, muss regelmäßig geschult werden.


Titelfoto: © Alita Ong/Stocksy